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Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)

Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)

Titel: Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
Autoren: Shereen El Feki
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WANDEL
DER ZEITEN
     
Wer mit seiner Vergangenheit bricht, ist verloren.
Meine Großmutter über die Erinnerung an die eigenen Wurzeln
     
    Jede Fahrt durch Kairo ist eine bewegende Lektion in Geschichte. Ich meine damit nicht die uralten Denkmäler der Stadt oder ihren mittelalterlichen Souk, ihre kolonialen Villen oder ihre Wolkenkratzer des 21. Jahrhunderts. Und auch nicht die außerordentliche modische Vielfalt ihrer mindestens 20 Millionen Einwohner – Männer in Turbanen und Galabiyas (Dschellabas, traditionellen Gewändern) neben Jungs in abgewetzten Jeans und trendigen T-Shirts, Frauen in Abayas und Niqabs (langem Umhang und Gesichtsschleier), kulturellen Importen vom Persischen Golf und Zeichen wachsender Religiosität, Schulter an Schulter mit Mädchen, die die neueste westliche Mode und wallendes Haar tragen.
    Wenn ich mich durch das Gewühl der Stadt schlängele, konzentriere ich mich – abgesehen von den tückischen Gehsteigen und den kniehohen Bordsteinen – auf die Straßenschilder. Nicht allein deshalb, weil es, wenn man sich in Kairo verläuft, Stunden dauern kann, um aus dem Labyrinth herauszufinden, sondern auch, weil diese dunkelblauen Tafeln mit ihren weißen kalligraphischen Aufschriften so viel über die Vergangenheit des Landes erzählen. Auf einem einzigen Bummel durch die Innenstadt kann man unter der Brücke des 6. Oktober hindurchgehen, die des gesichtswahrenden Angriffs Ägyptens auf Israel im Jahr 1973 gedenkt, in der Ramses Street prächtige Zeugen aus der Zeit der Pharaonen bewundern, ehe man in die Straße des 26. Juli einbiegt, die an den Sturz des letzten Monarchen Ägyptens erinnert. Auf der Champollion Street, die nach dem Mann benannt ist, der den Stein von Rosetta entzifferte, wird man dann in die Zeit des Ägypten-Feldzugs Napoleons versetzt, bevor man auf dem Tahrir(Befreiungs)-Platz landet, der an den Aufstand der Ägypter gegen die britischen Besatzer und deren autokratische Herrschaft erinnert.
    Tahrir macht heute Überstunden. Im Winter 2011 strömten Hunderttausende von Ägyptern auf diesen sonst von Verkehrslärm erfüllten, von Abgasen verpesteten Platz, eine berüchtigte Todesfalle für Fußgänger im Herzen Kairos, und verlangten nichts Geringeres als eine nationale Erneuerung. Der Tahrir-Platz war das Epizentrum der Volkserhebung gegen die dreißigjährige Herrschaft von Präsident Hosni Mubarak. Während sich der Aufstand rasch immer weiter im Land ausbreitete, zog der Tahrir-Platz die Aufmerksamkeit der Welt auf sich – und das, was Millionen von Demonstranten taten, wurde live im Fernsehen gesendet, getweetet und gebloggt. Der Tahrir-Platz wurde zu einer achtzehntägigen revolutionären Realityshow, in der man mitverfolgen konnte, wie sich die Protestierer verschanzten, im Freien kampierten und sich gegen ihren eigenen Big Brother, das Regime Mubarak, wehrten. »Wir sind ein Ägypten«, riefen die Menschen, als die jahrzehntelange Frustration über die politische und gesellschaftliche Erstarrung Reich und Arm, Muslime und Christen, Männer und Frauen, Eltern und Kinder zu einer geschlossenen Front zusammenschmiedete. Der Erfolg des Tahrir-Platzes war nicht bloß seine großartige politische Bewegung, sondern die vielen kleinen persönlichen Schlachten, die gegen die Verwerfungen geschlagen und gewonnen wurden, die die ägyptische Gesellschaft zermürbten: zwischen Religionen, Schichten, Geschlechtern und Generationen.
    In den kommenden Jahren wird der Erfolg der jüngsten Erhebung in Ägypten weitgehend danach beurteilt werden, wie diese Millionen von Minisiegen aus dem Treibhaus des Tahrir-Platzes in die kalten Realitäten des Alltagslebens übertragen werden. Dies gilt auch für den Rest der arabischen Region, wo Nationen ihren je eigenen Weg durch die politischen Umwälzungen suchen, die in diesem Jahrzehnt begannen. Um ermessen zu können, ob es womöglich zu einer Blütezeit kommen wird, müssen wir den Boden kennen, in dem diese Errungenschaften Wurzeln treiben. Und einer der steinigsten Orte ist dabei das Sexualleben.
    In der heutigen arabischen Welt ist der einzige allgemein akzeptierte, gesellschaftlich anerkannte Rahmen für Sexualität die staatlich registrierte, von der Familie abgesegnete, religiös sanktionierte Ehe. Alles andere ist ‘ ay b (schändlich), illi t adab (ungehörig), hara m (verboten) – ein endloser Wortschatz des Tadels. Die Tatsache, dass es weiten Teilen der Bevölkerung in den meisten Ländern der Region schwerfällt, dieser
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