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Sellavie ist kein Gemüse

Sellavie ist kein Gemüse

Titel: Sellavie ist kein Gemüse
Autoren: Thommie Bayer
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Bitter-Cabrio ist noch ein weiter Weg. Von dort zum Testarossa allerdings nur noch ein Katzensprung. Aber was soll’s? Wo war denn Colani mit einundzwanzig?

Sellavie ist kein Gemüse
    Der Frankreich-Liebhaber

    Wenn ich wählen darf zwischen Grace Kelly und Catherine Deneuve, dann nehme ich Deneuve. Wenn ich wählen darf zwischen Trebbiano und Chablis, dann nehme ich Chablis; und wenn ich wählen darf zwischen Souvlaki und Bœuf Bourgignonne , dann nehm’ ich letzteres. Nur wenn ich wählen müßte zwischen Elvis und Johnny Hallyday, würde ich vermutlich das Original vorziehen. Hallyday ist nicht französisch. Aber schon wenn es um Opel oder Renault, Mercedes oder Citroën ginge, würde ich wieder welsch wählen. Ich bin frankophil. Daß man frankophil ist, erkennt man daran, daß man Isabelle Huppert schön findet. Ich find’ die schön. Doch.
    Allein dieses Gefühl, wenn man endlich über die Grenze fährt. Das ist so ähnlich wie Schule schwänzen, oder aus einer verfahrenen Beziehungskiste aussteigen. Das Herz geht einem auf, der Kaffee schmeckt, es liegt was in der Luft, so ein kollektives oh la la, vive l’amour, blanc de blanc, pas de deux. Man wäre sofort fähig, es mal mit Liebe am Nachmittag zu versuchen. Bei vollem Tageslicht. Pourquoi pas?

    Frankophilie ist keine Krankheit und deshalb auch nicht heilbar. Obwohl es Leute geben soll, die ihren Südfrankreich-Traum einfach irgendwann in einen Toskana-Traum umgewandelt haben, um dann ein paar Jahre später ein Haus auf Korfu zu kaufen. Aber ich bin treu, fidèle, wie der Franzose sagt, ich träume noch immer von Les Beaux.
    Mit einem R4 fing es an. Sofort als ich drin saß, merkte ich: Das ist mehr als ein Auto. Ich weiß, das klingt wie ein Werbespruch. Heutzutage sind die banalsten Dinge mehr als nur sie selbst. Eine Kugel steht an der Straße und sagt: Ich bin zwei Öltanks, irgendein Film ist mehr als nur ein Film, und wäre Kennedy nicht zu früh dran gewesen, dann hätte er sicher gesagt: Ich bin zwei Berliner. Trotzdem, der R4 war mehr. So nah an der Straße, so nah am Leben, so laisser faire und savoir vivre.
    Die Garnisonssoldaten verkauften Gauloises und Gitanes zu Schleuderpreisen schwarz, und die waren dann zwar nicht mehr als Zigaretten, aber mehr Zigaretten für’s Geld. Ich hatte bald eine Ente und spielte mit dem Gedanken, sie auf den Rücken zu legen, denn die Firma Citroen versprach jedem, der das schaffen würde, zehntausend Mark und einen neuen 2CV. Ich raste in die Kurven mit allem, was das charmante Motörchen hergab, aber was mir seinerzeit mit dem Käfer zweimal ungewollt gelang , wollte jetzt nicht klappen. Na ja, dachte ich, ich fahre den Döschwoh ja nicht zum Geldverdienen, sondern zum Leben. Ja genau, zum Leben.
    Wir waren alle eine große Familie. Die Tramper machten Freudentänze, wenn sie mich nur kommen sahen, die anderen Entenfahrer grüßten mich mit gespreiztem Zeige- und Mittelfinger, an jeder Grenze wurde ich nach Haschisch durchsucht, es gab für jede, aber auch jede kleine Parksünde gleich einen Strafzettel, und die rotgesichtigen Mercedesfahrer hupten entweder violettgesichtig hinter mir oder fuhren höhnisch gestikulierend an mir vorbei. Waren wir zwei Enten in einer Kolonne, dann scherte die hintere aus, blockierte den nachfolgenden Verkehr, bis die vordere überholt hatte und überholte dann selbst. Das war so ziemlich die einzige Möglichkeit, mal auf die linke Spur zu kommen. Das melancholische „Hönk-Hönk“ der anderen Entenhupe genügte einem als Dank. Später fuhr ich einen DS19 und genoß die Seekrankheit meiner Beifahrer.
    Wir müssen wohl eine Art Avantgarde gewesen sein, mit unserer künstlerhaften Nonchalance, denn bald folgten uns andere, wir wurden immer mehr. Zu viele. In jedem Urlaub, sei es in Sainte Marie oder Aix, auf jedem Wochenendtrip nach Paris oder Strasbourg, begegneten einem nicht nur jede Menge Deutsche, sondern plötzlich auch welche aus der eigenen Stadt. Die Baguettes wuchsen plötzlich in den kleinsten Provinzstädtchen aus jeder zweiten Einkaufstüte. Bistros machten auf, und an jeder Ecke schrie ein Schild, der Beaujolais primeur sei arrivé.
    Anfänglich genoß ich das, denn ich bekam jetzt bei Karstadt meinen Amora-Senf, ohne den eine Vinaigrette einfach nicht hinhaut, Paté beim Metzger Wiggenhauser, Kulis von Bic bei der Papeterie Schneider, Croissants beim Bäcker und Bordeaux in jedem Edeka-Laden. Aber irgendwann wurde mir klar, daß mit den Charleston-Enten, die
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