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Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Titel: Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben
Autoren: Torsten Sträter
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Seelenbeton.
    Â»Was ist mit meiner Abfindung?«, fragt er und erhält zur Antwort: »Kümmern Sie sich selbst darum.«
    Â»Ich kann die Höhe selbst bestimmen?«
    Â»Nein – ich meinte, finden Sie sich damit ab.«
    Er tritt vors Gebäude; es regnet; eine Reflexion seiner Gefühle, während er sich fragt, wie man ein 22-Meter-Segelboot bei eBay versteigert.
    Eisiger Trotz: Klatschnass versucht er, die Firmenlimousine zu nehmen, aber die Schweine haben ihm präventiv die Scheibenwischer abmontiert.
    Der soziale Abstieg beginnt.
    Einen Monat später.
    Meier malt Lavena Mareen, seiner Jüngsten, Adidas-Streifen auf schlichte weiße Billigschuhe; die Kinder sind im Internat, das er bald nicht mehr zahlen kann. Internat, Internet – unbezahlbar für die Bildung, aber auch unbezahlbar für Meier.
    Noch immer weint Penelope, seine Älteste: Meier hat Cartier, ihren Hengst, aus Kostengründen strangulieren müssen. Der Hufschmied wirft unentwegt E-Mails mit Rechnungen durch den Briefschlitz.
    Meier ist allein.
    Er musste Nang, seine Gattin, zurückgeben; der Herausgeber des Katalogs rief an – R-Gespräch aus Thailand – und bellte, es gebe kein achtjähriges Rückgaberecht.
    Â»HARTZ!«, schreit Meier ausgehöhlt.
    Â»Ese issa fürr alle hartz«, sagt der Mann und legt auf.
    Herbst.
    Meier harkt den Tierfriedhof in Wattenscheid; Ein-Euro-Job; der Wind schneidet kalt in seinen Stolz. Er ist weich geworden über die Monate.
    Lange Passagen des Buches harkt er nur, zieht Bahnen durch den Kies, vorbei an Gedenktafeln, welche die Frage aufwerfen, warum Leute ihre Sittiche wie Gebissreiniger nennen.
    Â»Kuki«, murmelt er, »warum?«
    Cartiers sterbliche Hülle liegt nicht hier. Sie haben ihn an einen Präparator verkauft, welcher plant, ihn mit Pattex zu überziehen und in eine Kommode für die Unterwäsche von Kindern reicher Leute umzugestalten. Damit überbot er einen Discounter für Fetisch-Gedöns, der ihn als Hottehü-Gaul mit Münzeinwurf einzusetzen gedachte, um 30 Euro.
    Weiter war ich noch nicht.
    Mitten im neunten Kapitel hörte ich es scheppern. Ich legte den Radiergummi neben die Tastatur, schlüpfte in meinen Morgenrock und ging hinunter.
    Jemand machte sich nahe der Tür zu schaffen. Heimat, dachte ich zusammenhanglos. Was war Heimat? Die Verteidigung seines Lebensraumes, die Selbst-Installation der eigenen Persönlichkeit in einem Refugium, Ort oder Sonnensystem seiner Wahl. Ein Platz der Ruhe. Wo die eigenen Regeln noch was gelten.
    Heimat wäre also, wo man dem Affen, der einen Zentner Lidl-Prospekte in meinen Postkasten stopft, am Kragen packen kann, um die Hausordnung zu vertiefen.
    Â»Junge, siehst du den Aufkleber dort?«
    Â»Welchen Aufkleber?«, fragt der Bursche, vielleicht achtzehn, in Laufschuhen und mit einem Handkarren voller Werbebroschüren.
    Â»Der knallgelbe hier. KEINE WERBUNG einwerfen.«
    Â»Aber ich muss das tun.«
    Â»Was musst du tun?«
    Â»Werbung einwerfen.«
    Â»Da steht aber nicht KEINE WERBUNG EINWERFEN, AUSSER DU HAST KEINE ANDERE WAHL, sondern KEINE WERBUNG EINWERFEN.«
    Â»Aber ich brauch doch das Geld«, sagte er.
    Â»Dann mach den Taxischein. Dreh Pornos. Geh nach Tschechien und werd Erntehelfer.«
    Â»Ich bin erst 17.«
    Â»Wofür ist das jetzt die Entschuldigung?«
    Â»Jeder Postkasten soll Prospekte kriegen«, sagte er.
    Â»Jeder Haushalt, Bursche«, erwiderte ich. »Das sind so Dinger, in denen Menschen leben. Menschen, die vielleicht keine Lust haben, ihre Postkästen mit Beton auszugießen, damit legasthenischen Hooligans wie dir das Handwerk gelegt wird. Was, denkst du wohl, mache ich mit zwölf Lidl-Prospekten? Zwei abheften, einen ins Bücherregal legen, einen lesen und den Rest als Kackunterlage für meine acht Nymphensittiche nehmen, die selbstverständlich in acht separaten Käfigen residieren?«
    Â»Sie haben acht Sittiche?«
    Â»Nein.«
    Â»Ich mach nur meinen Job.«
    Â»Was soll das denn für ein Job sein? Für Lidl hier im Ort? Die filmen nicht mal ihre Mitarbeiter. Die sind hier so rückständig, dass sie pensionierte Gerichtszeichner beschäftigen.
    â€ºFrau Meier, haben Sie gerade ein 2-Cent-Stück in die Lade für 5-Cent-Stücke gelegt?‹
    â€ºNein, natürlich nicht.‹
    â€ºHalten Sie trotzdem 40 Minuten still. Jetzt mal nicht
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