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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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vierten Mann. Wir spielen ab jetzt Skat.«
    »Und dann Schach, und der letzte trifft sich zweimal im Jahr zum Solitaire«, sagte Philipp.
    »Du hast gut lachen, du bist der Jüngste.«
    »Von wegen Lachen. Solitaire spielen – da sterb ich lieber prophylaktisch.«
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    And the race is on
    Seit ich von Berlin nach Heidelberg gezogen bin, kaufe ich meine Weihnachtsbäume an der Tiefburg in Handschuhsheim. Sie sind dort zwar schon lange nicht mehr anders als anderswo. Doch ich mag den kleinen Platz vor der zerfallenen Wasserburg. Früher umkreiste ihn die Straßenbahn in kreischenden Schienen; die Linie endete hier, und Klärchen und ich sind im Sommer oft von hier aus auf den Heiligenberg gewandert. Heute ist Handschuhsheim ein Schickeriaort geworden, und auf dem Wochenmarkt trifft sich alles, was in Heidelberg kulturellen und intellektuellen Pfiff zu haben meint. Der Tag wird kommen, an dem nur noch Agglomerationen von der Art des Märkischen Viertels authentisch sind.
    Besonders liebe ich die Weißtanne. Aber zu meinen Sardinendosen erschien mir die Douglasfichte angemes-sener. Ich fand einen schönen, gerade gewachsenen, zimmerhohen, buschigen Baum. Von vorne rechts bis hinten links paßte er gerade über den weggeklappten Vordersitz und die umgelegte Rückbank in meinen Kadett. Im Parkhaus bei der Stadthalle parkte ich. Ich hatte mir eine kleine Liste gemacht für die Weihnachtsein-käufe.
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    In der Hauptstraße war der Teufel los. Ich kämpfte mich zum Juwelier Welsch durch und kaufte für Babs Ohrringe. Es fügt sich nie, aber ich würde mit Welsch gerne mal ein Bier trinken gehen. Er hat denselben Geschmack wie ich. Für Röschen und für Georg wählte ich aus dem Angebot einer dieser penetranten Ge-schenkboutiquen zwei Einweguhren, wie sie unter der postmodernen Jugend derzeit modern sind, durchsich-tiges Plastik mit eingeschweißtem Quarzuhrwerk und integriertem Zifferblatt. Dann war ich erschöpft. Im
    ›Café Schafheutle‹ traf ich Thomas mit Frau und drei pubertierenden Töchtern.
    »Muß ein Werkschutzmann seinem Werk nicht Söh-
    ne schenken?«
    »Es gibt im Sicherheitsbereich zunehmend auch
    reizvolle Aufgaben für Frauen. Für unseren Studiengang rechnen wir mit dreißig Prozent weiblicher Teil-nehmer. Übrigens, die Kultusministerkonferenz unterstützt uns als Pilotprojekt, und die Fachhochschule hat sich daher zur Einrichtung eines eigenen Fachbereichs Innere Sicherheit entschlossen. Ich darf mich Ihnen heute als designierter Gründungsdekan vorstellen, zum 1. Januar werde ich bei den rcw ausscheiden.«
    Ich beglückwünschte Spektabilität zu Amt, Ehre, Würde und Titel. »Was wird denn Danckelmann ohne Sie machen?«
    »Er wird es schwer haben in den nächsten Jahren bis zum Ruhestand. Aber ich möchte, daß der Fachbereich auch gutachtlich tätig wird, und dann kann er bei uns 329
    Rat kaufen. Sie denken an das Curriculum, das Sie mir zukommen lassen wollten, Herr Selb?«
    Augenscheinlich emanzipierte Thomas sich schon von den rcw und wuchs in seine neue Rolle hinein. Er lud mich ein, an seinem Tisch Platz zu nehmen, an dem die Töchter giggelten und die Frau nervös blinzelte. Ich sah auf die Uhr, entschuldigte mich und eilte ins ›Café Scheu‹.
    Danach machte ich den nächsten Anlauf, meine Liste abzuarbeiten. Was schenkt man einem virilen Endfünfziger? Eine Garnitur getigerter Unterwäsche? Gelee Royale? Die erotischen Geschichten von Anaïs Nin?
    Schließlich kaufte ich Philipp einen Cocktailshaker für seine Bootsbar. Dann war meine Abscheu gegen Weih-nachtsgeklingel und -geschäft übergroß. Mich erfüllte tiefe Unzufriedenheit mit den Menschen und mit mir selbst. Ich würde zu Hause Stunden brauchen, um wieder zu mir zu kommen. Warum hatte ich mich überhaupt in den Weihnachtsrummel gestürzt? Warum
    machte ich jedes Jahr denselben Fehler? Habe ich auch sonst gar nichts dazugelernt in meinem Leben? Wofür überhaupt das Ganze?
    Der Kadett duftete angenehm nach Tannenwald. Als ich mich durch den Verkehr bis zur Autobahn durchgekämpft hatte, atmete ich auf. Ich schob eine Kassette ein, griff eine von ganz unten, weil ich die anderen auf der Fahrt von und nach Locarno zu oft gehört hatte.
    Aber es kam keine Musik.
    Ein Telephon wurde abgehoben, das Freizeichen
    ertönte, eine Nummer wurde gewählt, und beim An-330
    gerufenen klingelte es. Er meldete sich. Es war Korten.
    »Guten Tag, Herr Korten. Hier spricht Mischkey. Ich warne Sie. Wenn Ihre Leute mich nicht in Ruhe lassen,
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