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Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Titel: Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
Autoren: Raphael M. Bonelli
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über den Normalfall, also dass der junge Mann oder die junge Dame aus purer Faulheit schlicht und einfach zu wenig gelernt hat. Das ist jedem nüchternen Beobachter schnell klar. Befragt man aber den Betreffenden selbst, so erhält man interessanterweise recht selten die Antwort: »Ich war zu faul, habe zu wenig gelernt und bin daher selber schuld.« (Das wäre mutige Selbsterkenntnis aus Herzensstärke.) Schuld sind dann schnell die Lehrer, die unseren Helden sehr ungerecht behandelt haben, eventuell auch gemobbt. Schüler mit etwas Phantasie können auch die Eltern und die Mitschüler beschuldigen. Oder die Großmutter, die Straßenbahn oder notfalls die Pubertät. Daraus folgt aber, dass das Opfer nur selten die richtigen Konsequenzen zieht und im folgenden Schuljahr einfach mehr lernt. Aus Schaden wird man nur dann klug, wenn man die Ursachen des Schadens richtig erkennt und benennt. Statt in die Hände zu spucken, könnte der Betroffene im schlimmsten Fall als »Opfer« die Hände beleidigt verschränken und bockig den Unterricht boykottieren. Sie sehen, das innere Stehaufmännchen richtet sich leichter wieder auf, wenn der Schüler erkennt: Ich bin selber schuld! Hätte ich mehr gelernt! Jean Valjean sagt diesen Satz: Er erkennt, dass er bis jetzt falsch gelebt hat und sich ändern muss. Nur so kann er sich dann auch tatsächlich zum Besseren verändern.
    Wie der Neurowissenschaftler Joachim Bauer in seinem Buch »Schmerzgrenze« anschaulich dargelegt hat, verarbeitet unser Gehirn Ungerechtigkeit wie körperlichen Schmerz und reagiert deshalb darauf mit Abwehraggression. Oder in manchen Fällen mit Verbitterung, wie Michael Linden hinzufügen würde. Beides jedoch hilft unserem Freund im neuen Schuljahr kaum weiter: Fremdbeschuldigung blockiert die Lösung. Die Hauptperson im 7. Kapitel, Raskolnikow, hätte die Jahre der Zwangsarbeit in Sibirien schwerer ertragen, wenn er unschuldig gewesen wäre. Oder wenn er sich unschuldig – also als Opfer – gefühlt hätte. Denn die Subjektivität, die persönliche Bewertung ist hier entscheidend. Raskolnikows Schuldbewusstsein, sein Selbstverständnis als Täter und sein Gerechtigkeitssinn lassen ihn seine Leiden als Zwangsarbeiter als berechtigte Strafe und als Sühne, als Wiedergutmachung seiner Schuld, erkennen und annehmen. Dadurch reift er als Person und läutert sich. Diese sieben Jahre als selbsternanntes Opfer und in Leugnung seiner eigenen Schuld hätten Raskolnikow hingegen zur Verzweiflung gebracht. (Natürlich kann man auch solch eine Situation in Würde tragen: Nelson Mandela war 29 Jahre für den gerechten Kampf gegen die Apartheid inhaftiert und ist nicht verbittert: Daran kann man wieder die Heilkraft der Vergebung erkennen, aber das ist ein anderes Thema.) Eine gerechte Strafe jedenfalls kann im Normalfall von einem schuldbewussten Täter angenommen werden. Die Auflehnung gegen eine als gerecht erlebte Bestrafung wäre psychopathologisch sogar richtiggehend auffällig. Empört ist man als psychisch gesunde Person nur bei einer als ungerecht empfundenen Behandlung, nicht bei einer als gerecht erlebten Strafe.
    Die Annahme der eigenen Schuld und damit der gerechten Strafe steigert die Resilienz ungemein. Das ist, um im bereits verwendeten Bild zu bleiben, wie wenn Sie dem Stehaufmännchen ein Metallgewicht in den runden Boden legen: Es wird dadurch stabiler. Das ist das Geheimnis von Jean Valjean: Er weiß, dass er auch einiges auf dem Kerbholz hat, und ist deswegen nicht so zimperlich. Verdrängte Schuld und Opfergejammer hingegen wirken, wie wenn Sie dasselbe Metallgewicht auf das Köpfchen unseres Stehaufmännchens kleben. Das Fazit ist dann, dass das Männchen bei der kleinsten Berührung umfällt. Das ist das Drama von Michael Kohlhaas. Darum wirkt eine Psychotherapie, die ein gesundes Schuldbewusstsein stärkt, wie wenn Sie das Metallgewicht langsam vom Kopf unseres Stehaufmännchens nach unten in den runden Boden verlagern: Der Mensch wird auf diese Weise immer stabiler, er kann nicht nur passive Opfer-, sondern immer mehr auch seine aktiven Täteranteile sehen. So kommt er vom Selbstbetrug zur Selbsterkenntnis.
FALL 42: Der 35-jährige Kleinunternehmer Herbert Z. kommt empört in die Praxis. Er sei Vater geworden, und jetzt dürfe er sein Kind nicht sehen. Noch dazu einen Sohn! Das sei schon das zweite Kind, bei dem ihm das passiere. Es sei unglaublich, wie die Frauen ihn behandeln würden! Beim Nachfragen kommt folgende Geschichte ans Licht:
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