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Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Titel: Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
Autoren: Raphael M. Bonelli
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Vergebungsbitte des Täters viel schwerer, aber manchmal trotzdem möglich. Papst Johannes Paul II. konnte beispielsweise seinem Attentäter von 1981, der keinerlei Reue zeigte, trotzdem verzeihen und hat ihn sogar in der Gefängniszelle besucht.
FALL 43: Die 55-jährige Anita S. kommt mit dem Auftrag zum Psychiater, sie wolle ihr unangenehmes Lebensgefühl loswerden. Sie leide schon sehr lange unter Traurigkeit, Einsamkeit und Sinnlosigkeit. Sie sei seit 15 Jahren geschieden und kinderlos (»Gott sei Dank«), lebe alleine und habe hauptsächlich massive Probleme mit ihrer 83-jährigen Mutter, die ihr ein Leben lang Schuldgefühle gemacht habe. »Sie lässt mich nicht leben, es gibt nichts in meinem Leben, mit dem sie einverstanden ist.« Sie sei übergriffig und indiskret.
Der Psychiater lenkt im Erstgespräch das Thema auf andere Lebensdimensionen, aber spätestens beim dritten Satz ist Frau S. wieder bei ihrer Mutter, die schon lange verwitwet sei und außer ihr weder Verwandte noch wirkliche Freunde habe. Die Mutter selbst sei von ihrer eigenen Mutter äußerst schlecht behandelt worden, und dieses Schicksal würde der Patientin indirekt ständig zum Vorwurf gemacht werden. Anita S. überlege, die Beziehung mit ihrer Mutter vollständig zu beenden, aber da sie ein Einzelkind sei, hätte diese dann überhaupt keine Bezugsperson mehr. So gehe sie weiter jedes Wochenende mit versteckter Wut im Bauch zu ihr – häufig komme es da zu Streit, besonders wenn die Mutter übergriffig werde.
In den nächsten Therapiestunden wird das Thema Nähe und Distanz bearbeitet: den richtigen Abstand der beiden Frauen zueinander finden. Dann kommt es zu einem Eklat: Frau S. erzählt, sie habe sich von ihrer Mutter provoziert gefühlt und daraufhin angebrüllt, dass sie sich nicht weiter von ihr so ungerecht behandeln lasse, ja, dass sie sie schon lange »letztklassig« behandeln würde. »Aus der Emotion heraus – ich habe mir Luft gemacht. Nachher ist es mir relativ gutgegangen – ich habe keine Schuldgefühle.«
In der Therapie erkennt Anita S. mit der Zeit, dass sie aufgrund des Alters ihrer Mutter in der Zwischenzeit überlegen ist und ihre emotionale Explosion doch eher unsouverän gewesen sei. Erstmals regt sich so etwas wie Mitleid mit der alten, einsamen Frau. In der Woche darauf kann die Patientin der Mutter gegenüber freundlich lächelnd gerechte Grenzen ziehen und so die verletzende Übergriffigkeit der Mutter abwehren. Erstmals fühlt sich Frau S. souverän im Umgang mit ihrer Mutter. Ein paar Therapiestunden später staunt Anita S. über ihre eigene Entwicklung: Die Mutter respektiere jetzt die Grenzen, die Beziehung sei dadurch so gut wie noch nie – und sie habe ihrer Mutter vergeben, weil sie sie jetzt besser verstehe.

ANALYSE: Es ist in der Therapie hilfreich, nicht bei den zweifellos vorhandenen Defekten der Mutter stehenzubleiben, sondern lösungsorientiert zu arbeiten. Als Kriterium für Grenzziehungen ist aber die Frage nach der Gerechtigkeit hilfreicher (»Was bin ich meiner Mutter schuldig und was nicht?«) als die Frage nach der eigenen Befindlichkeit (»Was tut mir gut?«). Letztere birgt immer die Gefahr, sich in Kurzsichtigkeit und Ichhaftigkeit zu verirren. Verzeihen konnte Anita S., weil sie am Ende genug Abstand hatte, um Empathie mit ihrer Mutter zuzulassen.
    Die Fähigkeit zur Vergebung, die »Forgiveness«, steigert die Resilienz. Das macht das Trauma nicht ungeschehen, aber leichter verdaubar. Hilfreich kann hierfür die gelassene Erkenntnis sein, dass jedes menschliche Zusammenleben immer aus Unrecht erleiden und Unrecht tun besteht und dass man selbst auch schon Unrecht getan hat. Wer austeilen kann, muss auch einstecken können.
    Der eigene Handlungsspielraum bei Schicksalsschlägen
    Auch bei Schicksalsschlägen ohne direkten Schuldigen, wie zum Beispiel bei Naturkatastrophen, ist Fremdbeschuldigung dringend zu vermeiden. Natürlich hat der Ichhafte, der Narzisst, das Opferlamm hier eine viel geringere Resilienz. Sein viel instabileres inneres Stehaufmännchen hat durch die Ichzentriertheit einen Riesenklotz auf dem Kopf. Er befolgt viel eher Watzlawicks anschauliche »Anleitung zum Unglücklichsein« und beschuldigt das Schicksal, Gott und die Umstände: »Warum immer ich?« oder »Warum gerade ich?«.
    Bei Schicksalsschlägen stellt sich häufig die Frage nach dem Sinn des Leidens, die aber die Psychotherapie überfordert. Der große Theologe Romano Guardini schreibt: »Wenn wir also
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