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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit
Autoren: Hayes Joseph
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sie nicht gleich antwortete, fiel es ihm wieder ein: Brigid hatte sich seit dem Absturz ihres Mannes nie mehr in ein Flugzeug gesetzt. Aber er konnte seinen Vorschlag nicht zurückziehen, ohne noch mehr Wunden aufzureißen.
    »Möchtest du gern, daß ich mitfliege, Andrew?«
    »Ja.«
    »Dann komme ich mit. Andrew, weinst du?«
    »Ja. Ich sehe dich in ein paar Minuten.«
    »Ich bin gleich fertig. Ich bin hier, Andrew.«
    Er legte den Hörer auf und überließ sich zum ersten Mal seit undenklichen Jahren seinem Kummer und seinen Tränen.
    ›Alle glücklichen Familien gleichen einander; alle unglücklichen Familien sind auf ihre Weise unglücklich.‹ Walter Drake, der seit seinem letzten Collegejahr verheiratet war, erinnerte sich an den Ausspruch, aber nicht an den Autor. Seltsam, daß er nach so langer Zeit noch an das Zitat dachte. Aber heute war seine Familie glücklich. Sie hatten zu Margos Leidwesen nicht daran gedacht, daß in den Downs am Derbytag ein spezielles Frühstück serviert wurde, aber als sich ihr Taxi einen Weg an den blockierten Einbahnstraßen vorbei zum Eingang an der Gegengeraden suchte – damit ihnen keine Minute der ganzen Aufregung entging –, waren alle vier so glücklich, wie man nur sein kann.
    Oft hatte Walter Drake sich in seinen trüben Tagen überlegt, was das Glück eines Menschen wohl ausmachte. Aber man merkte es erst, wenn man wirklich glücklich war, so wie sie heute. Und manchmal merkte man auch erst im nachhinein, daß man glücklich gewesen war.
    Terry hatte sich den dichten Bart abrasiert, obgleich seine Mutter nicht eine einzige Bemerkung gemacht hatte; er sah viel jünger und irgendwie unschuldiger aus, richtig jungenhaft. Und Margo sah so blühend und zufrieden aus, als hätte sie ihr Leben lang auf diesen Tag gewartet, und von dem erwarteten Baby war nicht mehr die Rede gewesen.
    Susan lachte wie ein unbekümmertes junges Mädchen, und das fand Walter fast am großartigsten.
    Im Gelände um die Stallungen herrschte nicht viel Treiben so früh am Nachmittag, und auch Presseleute hatten sich kaum herverirrt.
    Walter schaute durch den Maschenzaun zum Inneren des Rennbahnovals. Den Zeitungen zufolge strömten die Zuschauer bereits bei Öffnung der Tore in Scharen herbei, und manche nächtigten sogar vor den Toren, um nur einen guten Platz zu ergattern. Die jahrmarktähnliche Stimmung des vergangenen Abends setzte sich dort fort, und man konnte jetzt schon die Menschenmenge nicht mehr überblicken.
    Sie hatten beschlossen, Prescription einen Besuch abzustatten, und dann durch den Tunnel zur großen Tribüne in ihre Loge zu gehen und anschließend zum Zeitvertreib zwischen den Wettschaltern und Gärten zu flanieren und sich die anderen Rennen vor dem Derby anzusehen. Inzwischen hatte Susan ihre Scheu vor Pferden abgelegt und den Vollblüter geklopft und gestreichelt, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Sie war überzeugt, daß Prescription gewinnen würde, was Walter ernsthaft bezweifelte. Aber das sagte er ihr nicht.
    Aber einen Entschluß hatte er gefaßt: Er würde mit dem Rennpferdgeschäft weitermachen und es ernster betreiben. Nichts hatte seiner Erinnerung nach der ganzen Familie so ein Vergnügen bereitet. Und wenn man das Derby in dem einen Jahr nicht gewann, konnte man noch immer in einem anderen Jahr mit einem anderen Pferd einen neuen Anlauf starten. Selbst wenn Prescription heute völlig leer ausgehen sollte, dann gab es schließlich noch kleinere Rennen, in denen er eine gute Chance hatte. Teufel, mit der Zeit würde Walter einen eigenen Rennstall besitzen. Das war wie ein neuer Lebensanfang mit fünfzig! Und seine süße Susie strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Wenn das nichts war?
    Das Foyer und der Parkplatz waren voll mit Menschen, manche fröhlich, manche gespannt, manche angetrunken. Clay parkte seinen Lieferwagen und bahnte sich dann einen Weg in das Foyer, wo Andrew am Eingang stand. Andrew wartete darauf, daß ein Page seinen Mercedes vorfuhr.
    »Wie geht's Kimberley?«
    »Schläft. Mit einer Spritze. Sie sehen aus, als könnten Sie auch beides vertragen.«
    »Würden Sie ihr bitte von mir etwas ausrichten, Andrew?«
    »Warum sagen Sie es ihr nicht selbst?«
    Clay überlegte, schüttelte aber dann den Kopf. »Nein. Ich glaube, ich habe meinen letzten Ritt auf meinem weißen Zelter in schimmernder Rüstung hinter mir. Sagen Sie ihr nur, daß Pepe lebt.«
    »Pepe? Sie wird es erfahren, sobald sie aufwacht. Eine Schwester gibt auf sie
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