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Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)

Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)

Titel: Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
Autoren: Caro Ramsay
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abzog, durfte sie das genauso. Quinn klappte ihre Kosmetiktasche auf, blickte in den Spiegel und strich über die Falten unter ihren Augen. Na ja, vielleicht auch nicht.
    Sie sah sich ein paar andere Kleinigkeiten an, denn sie wollte sich vor der Besprechung unbedingt bis zum Boden ihres Eingangskorbs durcharbeiten – diesem Haufen würde sie es durchaus zutrauen, etwas Wichtiges ganz nach unten zu legen und sie dann vor versammelter Mannschaft darauf anzusprechen. Es waren die üblichen Vermerke, ihre Ausgabenabrechnung vom letzten Monat … Sie zog ein Stück weißen Karton hervor: Alan McAlpine, 1960–2006. Das Bild auf der Traueranzeige sah sie an, ein gelassener, gut aussehender Mann mit schmachtendem Blick und einem eher faszinierenden als freundlichen Lächeln.
    Acht Wochen war es her, erst acht Wochen. Ihr Vorgänger DCI Alan McAlpine war als Held gestorben, und seitdem beobachtete Quinn das verschwörerische Lächeln zwischen DI Anderson und DS Costello, bemerkte die kargen Worte und das vielsagende Schweigen.
    Vor Quinns Zeit hatte Partickhill deren perfekte Enklave dargestellt. DCI McAlpine war Anfang vierzig gewesen. Colin Anderson, seinem Lieblingsinspektor, fehlten ein paar Jahre bis zu diesem Alter, und Costello war noch einmal einige Jahre jünger. In McAlpines Kielwasser waren sie karrieremäßig gut vorangekommen, doch auch ohne McAlpine war Anderson mehrmals ernstlich auf die Probe gestellt worden und hatte den Kopf nicht eingezogen. Hatte den Kopf nicht eingezogen – und den Mund gehalten. Quinn wusste, sie kannte nur einen Bruchteil der Geschichte um den früheren DCI – und sie würde das meiste auch niemals erfahren. Als ihre neue Chefin blieb sie sowieso außen vor. Als Frau behielt sie McAlpine lieber so in Erinnerung, wie er sich gegeben hatte: attraktiv, kompliziert, verletzlich. Sie sah dem Foto wieder in die Augen, diese braunen Mandelaugen, und erinnerte sich an das leise Zischen der Vorhänge im Krematorium, an das gedämpfte Surren, mit dem der Sarg in der Dunkelheit verschwunden war. Es kam ihr vor, als wäre das alles erst gestern geschehen. Sie betrachtete die Fotografie eine Minute lang, hing Erinnerungen nach und schob dann das Bild wieder zurück in den Stapel.
    Sie zuckte zusammen, als das Telefon sie mit schrillem Klingeln tadelte.
    »Hier DS Costello.« Weiblich, knapp, abgehackt, nur unwesentlich von Anmaßung entfernt.
    »Ja, DS Costello?«, antwortete Quinn mit übertriebener Höflichkeit.
    »Gibt es Neuigkeiten über Luca Scott, Ma’am?«
    »Sollte nicht eigentlich ich Ihnen diese Frage stellen?«
    »Also, ich habe versucht, zu seiner Mutter im Krankenhaus vorgelassen zu werden, leider erfolglos. Da gibt es übrigens noch einen ähnlichen Vorfall, Ma’am – eine Miss Cotter aus der Havelock Street … Das ist in der Nähe von …«
    »Ja, ich weiß.«
    »Also, sie hat erzählt, ihre Nachbarin sei gestern Abend ohne ihren Sohn nach Hause gekommen, und heute Morgen war er auch nicht in der Wohnung. Die Mutter selbst ist zu betrunken und kann sich nicht erinnern, wo sie ihn gelassen hat. Ich habe im Computer nachgesehen, und auch dieser Junge, Troy McEwen, wird nicht zum ersten Mal vermisst. Na ja, und im Zusammenhang mit Luca Scott …« Quinn hörte Costello ihr Notizbuch umblättern. »… beide sind sieben Jahre alt, wohnen eine halbe Meile voneinander entfernt …«
    »Schicken Sie mir alles, was Sie haben.« Quinn zog Luca Scotts Akte aus dem Stapel auf ihrem Schreibtisch. »Und DI Anderson soll so schnell wie möglich hierher zurückkommen.« Sie legte auf.
    Sie schloss die Augen einen Moment lang und wünschte sich mit aller Kraft, dass es keinen Zusammenhang zwischen den beiden kleinen Jungen gäbe. Nicht zwei vermisste Kinder, kurz vor Weihnachten, und das auch noch als ihr erster Fall mit diesem Team – mit McAlpines Team.
    Sie waren gut – Anderson und Costello –, McAlpines handverlesene kleine Einheit, und sie waren schwer zu knacken. Aber der King war tot, lang lebe die Queen. Lang lebe die Quinn. Sie erlaubte sich ein schwaches Lächeln. Wenigstens DI Anderson musste sie knacken. Der große hellhaarige Intelligente, der nachdachte, ehe er sprach, der stets mit Bedacht handelte. Sie hatte Unmut bei ihm erwartet, weil sie McAlpines Stelle übernommen hatte, aber nichts Derartiges war gekommen. Nun, nicht gerade nichts, eher so ein undefinierbares Etwas, mehr so pro forma, wie sich ein kluger Schüler gegenüber einem begriffsstutzigen Lehrer
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