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Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil
Autoren: Holger Wuchold
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City. Er gab ihnen zu verstehen, dass er sich erst etwas zu essen und zu trinken holen würde, bevor er sich zu ihnen setzte. Er bestellte ein enormes englisches Frühstück mit Würsten, Bohnen, Speck, Spiegeleiern, Toast und Champignons, dazu ein Pint Lager. Die Gruppe rückte zusammen, damit Willem Platz finden konnte. Einige kannte er nicht, die anderen nur beim Vornamen. Er traf sie nur im »White Horse«, nur sonntags und das auch nur unregelmäßig.
    Sie wussten von Willem noch weniger als er von ihnen. Wenn ihn jemand nach seinem Beruf fragte, antwortete er, er sei Journalist, was ja nach wie vor stimmte. Man unterhielt sich über lauter belanglose Dinge, nie etwas Ernsthaftes, daran war niemandem gelegen. Es ging einfach darum, auf angenehme Weise die Zeit an einem sonnigen Sonntag totzuschlagen, ohne an die vergangene oder künftige Woche zu denken. Jeder kam und ging, wann er wollte. Einige nahmen an der lockeren Runde häufig teil, andere kamen ein paar Mal und wurden danach nie wieder gesehen.
    Willem beteiligte sich kaum an der Unterhaltung, die sich dieses Mal vor allem um schnelle Autos drehte. Er war mit seinen Gedanken woanders. Die meisten aus der Runde schienen gut zu verdienen, da sie vor dem »White Horse« mit den neuesten Sportcoupes und Cabriolets angeberisch vorfuhren. Seinen verrosteten Mercedes hielten sie wohl für eine Art Spleen. Er versuchte sich vorzustellen, wie diese aufstrebenden oder bereits erfolgreichen Börsianer reagieren würden, falls sie erführen, dass er so gut wie abgebrannt war. Was würden sie erst sagen, wenn sie wüssten, dass er auf dem besten Wege war, ein Verbrecher zu werden? Willem kam sich wie ein erfolgreicher Hochstapler vor.
    Er schaute in die Runde. Die anderen verwöhnte das Leben. Sie strotzten vor Glück und Selbstbewusstsein, genauso wie Henry Hewitt. Doch er würde es ihnen schon zeigen. Es würde nicht mehr lange dauern, und er würde sie alle in die Tasche stecken.
    Willem war bester Laune. Er holte sich ein weiteres Pint, das er langsam in der prallen Sonne trank, bevor er sich verabschiedete, nach Hause zurückkehrte, um für zwei Stunden der angenehmen Müdigkeit, verursacht vom schweren Frühstück und zwei großen Gläsern Bier, nachzugeben. Frisch rasiert und umgezogen machte Willem sich anschließend zu Pia auf.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis er die New Cavendish Street gefunden hatte. Er war selten in dieser Gegend, eigentlich so gut wie nie. Hohe, gepflegte, Georgianische Fassaden drei- und vierstöckiger Häuser reihten sich in gerade Linie aneinander, Straße für Straße. Alles wirkte sehr uniform, aber keineswegs langweilig, eher Vertrauen einflößend. In den meisten Häusern waren Büros untergebracht. Das war leicht zu erkennen.
    Vor den Fenstern hingen keine Gardinen, so dass Willem im Vorbeifahren die hohen Regale gefüllt mit Aktenordnern sehen konnte, ebenso wie die Monitore, die auf den Schreibtischen nah an den Fenstern standen. Neben den Eingangstüren blinkten die auf Hochglanz polierten Messingschilder von Steuerberatern und Anwaltsfirmen. Die Woche über herrschte sicherlich geschäftiges Treiben. Doch es war Sonntag. Alles war wie ausgestorben. Jeder Hilferuf wäre wahrscheinlich unerhört verhallt.
    Das Haus mit der Nummer 54 lag auf der linken Seite, fast am unteren Ende zur nächsten Querstraße. Alle Parkplätze waren frei, und Willem stellte seinen Mercedes direkt vor dem Haus ab. Auch hier wies ein Messingschild auf eine Anwaltskanzlei hin.
    »Hallo? Bist du es, mein Süßer?« Pia lachte durch die Sprechanlage. »Du musst ganz nach oben kommen. Bis gleich.«
    Ein dumpfes Brummen ertönte. Willem rüttelte an der Tür.
    »Noch kräftiger, schöner starker Mann!«, machte sich Pia, wieder durch den Lautsprecher, über ihn lustig.
    Er warf seine Schulter gegen die Tür und taumelte in einen engen Hausflur. Die Wände waren in dem gleichen Taubenblau wie der Teppichboden, der auf den Stufen der steil ansteigenden Treppe lag. Auf jeder Etage waren links und rechts Türen, auf denen in goldener Schrift die Namen der Anwälte standen, denen die dahinter liegenden Büros gehörten. Willem glaubte in jeder Etage, die nächste müsse die richtige sein. Doch nach jeder Biegung gab es eine weitere. Schließlich drehte sich die Treppe noch enger und wurde noch steiler. Am Ende dieser Treppe hatte er endlich sein Ziel erreicht.
    Die Tür war angelehnt. Er klopfte.
    »Komm nur rein«, rief Pia aus dem Innern der Wohnung.
    Willem
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