Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil
Autoren: Holger Wuchold
Vom Netzwerk:
niemandem mit. Das waren aber nur wenige. Die anderen machten es einfach davon abhängig, ob der Gast ihnen sympathisch war, und natürlich auch davon, wie viel Geld er ihnen bot und was er dafür verlangte. Zweihundert Pfund waren ungefähr der Einstiegspreis, dreihundert Pfund der Durchschnitt.
    Pia gestand ganz offen, dass sie zu denen gehörte, die »rausgingen«. Das war der clubinterne Jargon für Anschaffen. Im ersten Monat habe sie es nicht gemacht, im zweiten Monat zwei- oder dreimal. Inzwischen ginge sie etwa ein- oder zweimal die Woche mit einem Gast mit. Sie ließe sich aber nur auf »normale Sachen« ein.
    »Bist du schockiert?«
    Willem schüttelte den Kopf. Schockiert war er wirklich nicht. Er sah Pia an und erinnerte sich an das kleine strahlende Mädchen mit den langen, schwarz schimmernden Haaren, dem er vor knapp zwei Jahren begegnet war und das damals mit einem Lächeln jeden Anflug von schlechter Laune oder Schwermut bei ihm vertreiben konnte. Das kleine Mädchen gab es nicht mehr. Stattdessen nur eine kleine Nutte, die sich ihren süßen Hintern von alten Böcken vergolden ließ. Willem sagte sich, dass es ihre eigene Entscheidung war, dass sie niemand gezwungen hatte, eine Nutte zu werden. Aber dass sie sich als Nutte leichter auf das einlassen würde, was er von ihr wollte.
    »Was stellst du mit dem ganzen Geld an, das du jetzt verdienst?«, fragte er.
    »So viel ist es gar nicht. Viel geht für Klamotten drauf. Ich kann ja nicht jeden Abend im Club in demselben Fummel auftauchen.«
    »Und die Wohnung?«
    Für die Wohnung, sagte Pia, zahle sie monatlich fünfhundert Pfund. Das war für Londoner Verhältnisse geradezu billig. Ein englisches Mannequin, das für ein Jahr in Hongkong war, hatte sie angemietet und ihr überlassen. Nach ihrer Rückkehr müsste sich Pia eine neue Bleibe suchen.
    Es war also gar nicht ihre Wohnung. Deswegen die geschmackvolle Einrichtung, dachte Willem, ohne es auszusprechen.
    »Bleibt am Ende des Monats etwas übrig?«
    »Je nach dem, wie das Geschäft läuft. Es hängt auch davon ab, wie oft ich mit den Gästen rausgehe.«
    Pia hoffte, in drei Jahren genug Geld zusammen zu haben, um zurück nach Spanien zu gehen. Sie träumte davon, dort ein kleines Hotel aufzumachen.
    »Ich mag London. Aber auf Dauer geht mir der viele Regen auf die Nerven. Ich brauche einfach Sonne, viel Sonne. Sonst gehe ich ein wie eine Primel.«
    Willem teilte den Rest des Weißweins zwischen ihnen auf.
    »Aber du wolltest mir doch einen Job anbieten? Kann ich mir damit mein kleines Hotel verdienen?«, fragte Pia.
    »Nicht nur ein kleines«, sagte er.
    »Dann mal raus mit der Sprache.«
    Willem schaute sich um. Das Restaurant war immer noch bis auf den letzten Platz besetzt.
    »Lass uns besser irgendwo hingehen, wo es ruhiger ist.«
    Pia sah auf die Uhr.
    »Vergiss nicht, es ist Sonntag. Und wir haben schon nach elf. Da dürfte es schwierig werden, überhaupt etwas zu finden, was noch auf hat. Aber wenn du willst, können wir wieder zu mir gehen.«
    Willem war einverstanden. Er hatte ganz vergessen, dass die Pubs sonntags schon um halb elf Uhr schlossen. Zudem hatte er gar nicht bemerkt, wie die Zeit verging. Er zahlte die Rechnung, sie standen auf und fuhren mit dem Taxi zu ihr.
    Willem saß in dem weißen Loom-Chair und nippte an einer heißen Tasse Kaffee. Pia hatte sich auf die beige Couch gefläzt, ein Glas Champagner in der Hand. Sie hatte sich schnell an ihren bescheidenen Wohlstand gewöhnt, dachte er. Wenn sie so weiter machte, würde ihr nicht viel Geld für ihr kleines Hotel bleiben.
    »Nun schieß mal los, mein Lieber! Ich bin ganz Ohr.«
    Selbst ihre Stimme klang in Willems Ohren jetzt irgendwie nuttig. Er versuchte, seinen Ekel zu verbergen.
    »Ich hoffe, du bist jetzt nicht schockiert.« Er machte eine Pause. »Es geht um eine Entführung, eine Kindesentführung.«
    Er hatte mit vielem gerechnet, nur nicht mit dieser Reaktion. Pia lachte laut auf. Sie schüttelte sich geradezu, dass sie beinahe den Champagner verschüttet hätte.
    »Du willst jemanden entführen!« Ihre Stimmlage änderte sich. Sie sprach zu ihm, als würde sie zu einem kleinen Jungen reden. »Das darf man aber nicht. Das ist verboten. Weiß der brave Willem das nicht?«
    Er fühlte eine unbändige Wut in sich aufsteigen. Ihn machte rasend, dass ihre Verwunderung so echt wirkte, ebenso ihr Spott. Er hätte dieser Schlampe links und rechts eine Ohrfeige verpassen können. Was bildete sich diese kleine Nutte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher