Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927
Autoren: Willy Seidel
Vom Netzwerk:
Meister!« rief Boggi tief erstaunt. »Wo bleibt Ihre Selbstherrlichkeit? Sie sind ein Dichter! Sie gehören unter die Großen! – Und nun werden Sie sentimental?!«
    »So?« sagte Harry, . . . »so? bin ich einer? Das freut mich. – – Du lieber Gott, meine paar Sächelchen! Man schätzt mich noch?«
    »Bedeutende Verleger nehmen sich Ihrer an«, erwiderte Boggi. »Man druckt Sie in ungezählten Exemplaren – ja, zum Teufel, ich muß gestehen, Herr Heine, daß Sie mich enttäuschen! – Ich hoffte auf eine kleine, lästerliche Unterhaltung, einen kleinen Augurenaustausch, und nun sind Sie in solcher Verfassung!«
    »Ja, nun ist das was anderes«, sagte Heine, plötzlich verwandelt, und hing sich fester an seinen Arm. »Sehen Sie, dies Taschentuch hat mir die Mouche noch gestickt; sie war ein gutes Kind. Ich glaubte, ich hätte den Chef arg verstimmt durch meine Witzchen, wissen Sie. Nun, der Chef ist tolerant, und die Mouche hat mir hier Zutritt verschafft. Ich liebte sie gar sehr, und auch ihr Busen hat für mich gebebt. Und, sehen Sie: in der Liebe kann man nie reproduktiv sein! – Man ist stets originell, wenn es zu Handgreiflichkeiten oder gar Versen kommt! . . . Wie finden Sie übrigens diese Kolonie?«
    »Im Vertrauen,« sagte Boggi, »etwas langweilig.«
    »Du lieber Gott,« meinte Harry, »das finde ich nämlich auch. All diese Charakterköpfe, man kennt sie bereits; man kommt sich schier wie ein bestaubtes Museumsstück vor. Doch der Wahrheit die Ehre: man ist im allgemeinen recht unbehelligt. Mir kann's gleichgültig sein, ob irgendein krittelnder Epigone an meinem Denkmal das Beinchen hebt oder ob es einen Machthaber in meiner Gesellschaft fröstelt. Ich glaube, ich bin auf dem Wege, zum Ursprünglichen zurückzugleiten, wie meine hiesigen Kollegen; nur werde ich vermutlich nicht über mein interessantes ›Ich‹ hinauskommen, denn für das Gänseblümchen bin ich zu stark östlichen Einschlags. Doch pssst! – Da wird es Tag, und meine Matratzen warten. Leben Sie wohl und Dank für das Plauderstündchen!« Er humpelte eilig davon.
    Das nächtliche Intermezzo war von Gabriel nicht bemerkt worden, der, ausgeschlafen und munter, seine Laterne ausblies und Boggi suchte. Einmal noch zierlich gähnend, ging er in sein Häuschen zurück und bat Boggi, ihm zu folgen. »Eigentlich«, sagte er, »habe ich mein eigenes Bett. Du siehst es hier, es ist naturgewachsen.« Boggi sah ein Bettgestell, das mit Wurzeln in die Erde faßte. Das Plumeau war mit köstlichen Stickereien bedeckt: Liebesszenen aus dem ganzen Kreis der Schöpfung bis zu einem Menschenpaar, das sich durch Blumengewinde hindurch haschte. »Mein Erbteil,« erklärte Gabriel ernsthaft, »das ich mir jedesmal testamentarisch selbst vermache, wenn ich mich erneuere.« Boggis Fuß stieß an ein großes, perlmutternes Ei. »Meine Puppe«, sprach der junge Hausherr. »Siehst du, wenn ich wieder ganz klein bin, so passe ich hinein. Du mußt nämlich wissen, daß ich einen Kreislauf durchzumachen habe. Bin ich achtzehn Jahre alt, so werde ich wieder klein, mache einen Rückprozeß durch. Von meinem zehnten bis zum sechzehnten Jahre trage ich Flügel, die ich, sobald ich über den Zaun springen kann, wie ein lästiges Kaulquappenschwänzlein abwerfe. Du kannst das erleben, wenn du dich hier brav beträgst. Ich bin jetzt schon auf dem Rückweg und erhalte demnächst meine Flügel wieder.« Er drehte ihm den Rücken zu. Boggi sah zwei kleine, farblose Membranen, die von Gabriels Schulterblättern hingen wie feuchtkeimendes, noch gefälteltes Laub.
    »Und was ist's mit den Müttern?«
    »Ja,« sprach Gabriel, »die sind vonnöten. Denen macht meine Instandhaltung keine körperlichen Beschwerden, doch brauche ich ihre Brüste und ihren Futternapf, denn in gewissem Sinne verdanke ich ihnen meine Existenz. Du kannst sie gelegentlich zu sehen bekommen, wenn ich dich zu dem Garten der Illusionen bringe; sie heißen Elpis, Pistis und Agape. Sie gehen immer selbdritt, wie überhaupt die Dreizahl hier eine Rolle spielt.«
    »Also bist du am Schluß ein ganz kleiner Bube, den man auf den Armen trägt?«
    »Wenn es dir Spaß macht, wirst du das tun können«, lächelte Gabriel. »Doch als Gesellschafter kann ich dir dann nicht mehr dienen, denn meine Geistesgaben werden naturgemäß spärlicher. Zum Schluß habe ich nur noch knospenhafte Instinkte und werde sehr gehätschelt, denn dann bin ich ein typisches Symbol und verlege mich ganz aufs Staunen.«
    Plaudernd
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher