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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927
Autoren: Willy Seidel
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traten sie heraus, und Boggi sah sich mit seinem Freunde zusammen die Gegend an. Ein milder, flaumweicher Wind wehte über kleinen, festlich frühlingshaften Birkenbeständen. Sie verließen die Ebene und gelangten zu der Gebirgskette. Nach dem Durchschreiten dämmeriger Forste, wo ein stetes, orgelartiges Sausen in den Wipfeln herrschte, erstiegen sie eine Höhe. Unter ihnen traten die Täler nach den vier Himmelsrichtungen auseinander, und jedes Tal war erfüllt von allen klimatischen Wundern der Schöpfung. Alle Stimmungen schienen zusammengedrängt; es war ein Funkeln, Duften und fernes Getöse millionenfach aufklingender Tierstimmen. Und während sie dort weilten, wurde Boggi demütiger und von großen Ahnungen gestreift; sie sahen Nacht und Tag wechseln, traumhaft schnell, Sonnenpausen von Verdunkelungen durchsetzt, nach den großen Gesetzen der Bewegung und Wiederkehr, als prächtiges Uhrwerk . . . Die Zeit rann, die Zeit fiel und stieg, wie Wassertropfen funkelnd, zerstäubend; alles Wesen, nach seinem Kreislauf, bildete sich neu oder versank . . . Und doch schienen's Boggi nur Minuten zu sein, in denen sich so unerhört viel abspielte, und er wandte sich, geblendet, erschöpft und sprachlos, dem Rückweg zu.
    Als er Gabriel wieder betrachtete, entfuhr ihm ein Laut des Erstaunens. Ein milchjunger Knabe schritt neben ihm und trug Flügel am schmalen Rücken, Libellenflügel, die das Licht farbig brachen.
    »Um Gottes willen!« rief er aus. »Wie lange sind wir denn schon hier oben? – – Oder treibst du nur einen Scherz?«
    »Einen Scherz?« sagte Gabriel und flatterte eine kleine Strecke lang, während er sich mit den rosigen Zehen von den Wurzeln abstieß. »Du bist ein ganzes Jahr hier oben gewesen, weißt du das? Du warst nur ein wenig verblüfft über das reichhaltige Panorama . . . Was wirst du erst Zeit brauchen, bis du zum Chef gelangst!«
    Boggi schwieg verdrießlich. Dann sagte er: »Aber zunächst ersuche ich dich, wenigstens deine jetzige Fasson beizubehalten. – Du wirst nicht verlangen, daß ich mich allein durch alle diese Rätsel durchbeiße.«
    »Rätsel?« klang die silberne Stimme zurück, kindlich und vergnügt. »Durchbeißen?! . . . Aber bester Herr, das gibt es ja gar nicht! – Gewöhne dir nur das Denken hübsch ab, dann gibt es auch keine Rätsel mehr. Das ist alles klipp und klar. Da gibt es weiter nichts zu predigen.«
    Sie waren wieder auf die Wiese zurückgekommen. »Ich hoffe,« sagte jetzt der Knabe besorgt, »daß mir niemand inzwischen Dummheiten gemacht hat; eigentlich reut mich meine Zeitverschwendung in deiner Gesellschaft, weil es schließlich ziemlich belanglos ist, ob du bekehrt wirst oder nicht. – Sieh da! Da ist ja schon jemand ausgebrochen! Dacht' ich's mir doch!« Er lief, hüpfend und fliegend wie eine Zizindele, voraus. Boggi erblickte Harry Heine, der, mit seiner Krücke fuchtelnd, im Gras herumstolperte, und hörte seine scheltende Stimme. Vor ihm her schwebten, ängstlich zusammengedrängt, drei weibliche Gestalten von durchsichtigem Körperbau, die nach jedem Schlag der Krücke, die sie nie erreichte, ein Stückchen in die Höhe flatterten und dann, verwirrt spähend, auf den Platz zurücksanken.
    »Ho!« schrie Heine. »Ach, das tut wohl, wenn man sich Luft machen kann! Ich gönne mir Bewegung und schikaniere diese drei luftigen Metzen. Sie glauben gar nicht, was sie mir das Leben verdorben und mich genarrt haben. Pschütt! – Sie machen einem weis, sie existieren, die verfluchten Seifenblasen. Zerstückelt müßten sie werden, zerpustet!!« – Er schöpfte mächtig Atem.
    »Was machen Sie, Herr Heine!« jammerte Gabriel und fiel ihm in den Arm. »Lassen Sie mir doch meine Mütterchen in Ruh!«
    »Ach was, Mütterchen!« rief der Dichter. »Du bist auch so ein windiges Produkt.« Dann, zu Boggi gewandt: »Lassen Sie sich nicht mit dem Bengel ein, Herr Kollege. Er ist zwar recht handfest, von realem Fleisch, doch er schwindelt wie gedruckt. – – Das gönne ich den drei Dirnen, daß er sie recht schröpft, wenn sie ihn aufsäugen müssen. Da steckt wenigstens noch Komik drin!«
    »Herr Heine!« rief Gabriel befehlend und rasselte mit den Flügeln. Er stand spreizbeinig da, schön wie ein Blitz, und seine Muskeln bebten. »Sie werden sich auf der Stelle wieder hinter den grünen Zaun zurückziehen! Sie haben alle Disziplin verloren!«
    »Hat sich was!« lachte Heine. »Ich bin guter Laune, wenn zwar etwas wackelig auf den Füßen. Doch so
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