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Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Titel: Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
Autoren: Michael Jürgs
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totgeschlagen werden muss, und dies nun mal am besten, und winters sowieso, vor dem Fernseher geschieht? Wie ist der diesbezügliche Vorsprung der Kleinen Ost vor den Kleinen West erklärbar? Hat der von ARD und ZDF gemeinsam betriebene Kinderkanal KiKa etwa deshalb einen sich in Quoten niederschlagenden Heimvorteil, weil die Verantwortlichen in Erfurt sitzen? Oder lassen Eltern und
Großeltern ihre Nachkommen im Osten so lange vor dem Familienmittelpunkt TV-Apparat sitzen, bis auch sie selber eingeschlafen sind?
    Bei Superstar-Extra muss die ganze Nation vereint wach bleiben, auf ihre Stimmen kommt es schließlich an. Gesendet wird deshalb im Oktober am Abend vor dem Tag der deutschen Einheit, damit alle anderntags ausschlafen können.
    Die Teilnehmer an dem als Mega-Event angekündigten Showdown müssten selbstverständlich nach den gleichen Kriterien ausgewählt werden wie die Kandidaten für die täglich versendeten Formate, die als unterhaltend gelten, weil sie vor keinem unterirdischen Thema und keinem unterschichtigen Volksvertreter haltmachen. An den gewohnten Abläufen – eene, meene, muh, raus bist du, hässliche Kuh – würde ebenfalls nichts geändert. Doch bei dieser Premiere, einmalig in der Geschichte des Fernsehens, würden erstmalig nicht die Verführten vorgeführt, sondern ihre Verführer.
    Bei deren Anblick dürfte zwar den geistig normalen Zuschauern von Arte und 3sat das Lachen im Hals stecken bleiben, aber das müssten sie nun bitte mal schlucken. Sie dürfen auch nicht den Ton wegschalten – es gehört zu ihren Pflichten als Staatsbürger, sich anzuhören, wie die ihnen unbekannten anderen reden und was sie reden und worüber sie reden.Verglichen mit dem Erkenntnisgewinn über die wahren Bedürfnisse ihrer Mitmenschen, ist der Preis, den sie zu zahlen haben, nachgerade lächerlich.
    Weil sich naturgemäß viele Deppen aus lokalen TV-Seichtgebieten zum Superstar berufen fühlen, braucht es regionale Vorwahlen vor der nationalen Entscheidung. Bei den üblichen Blödsendungen gibt es vorher Castings, im zynischen Jargon ihrer Produzenten auch »Migrantenstadl« genannt. Ähnliche Castings sind jetzt erforderlich, wenn unter
den TV-Profis eine Auswahl getroffen werden muss. Ohne Ansehen von Aussehen und Alter und wegen der Einschränkungen durch die Bestimmungen des Datenschutzes auch ohne Andeutung des Intelligenzquotienten dürfen dabei alle mitmachen, die jemals vor laufenden Kameras auftraten und fehlerfrei einen ganzen Satz aufsagen konnten.
    Das unter Fernsehverantwortlichen einst geltende Gesetz »Wehret den Anfängern!« ist zugunsten ihrer seit Viagra gewachsenen ständigen Hoffnung, bei mancher Anfängerin könnten sie mit ihren eigentlichen Bedürfnissen endlich mal richtig liegen, falls sie zuvor die ihren erfüllen, außer Kraft gesetzt worden.
    Ausgeschlossen von der Teilnahme sind nur die aus der Zunft, die sowohl von privaten als auch von öffentlich-rechtlichen Sendern bereits entsorgt wurden und in diversen Homeshopping-Kanälen ihr Gnadenbrot verzehren.Also die Menschendarsteller, deren Wert sich ausschließlich danach bemisst, ob es ihnen gelingt, möglichst vielen noch Blöderen einzureden, durch das Anwählen einer gebührenpflichtigen Telefonnummer, von denen die Sender ihren Anteil kriegen und damit die Honorare ihrer Namenlosen bezahlen, eine günstige Diamantenhalskette für 19,90 Euro zu bestellen oder für nur 23,99 Euro die garantiert wasserdichten Schlüpfer für den reifen Herrn und die noch reifere Dame.
    Selbst auf diesen Sendern der Massenverarschung gibt es Ratgeber-Formate mit unmittelbar der Kundschaft einleuchtendem Nutzwert.Wenn einer zur Fortbildung bereiten Schar Frauen von der mütterlichen Moderatorin erklärt wird, wie sie die Batterien eines Dildo auswechseln und welche Farben der kleine Lümmel haben sollte, damit er sie beim Gebrauch nicht an den Fleischfarbenen erinnert, der neben ihnen im Bett schnarcht, lachen alle gemeinsam Reste ihrer vielleicht doch noch vorhandenen Scham weg.
    Weil Arte oder 3sat nicht einfach nur wertfrei unter dem in diesem besonderen Fall naheliegenden Aspekt, Schadenfreude sei eben die reinste Freude, unterhaltend sein dürfen – denn wertfrei Luftiges würde ihre seriöse Marke beschädigen -, müsste beim Schau-Laufen der sich gegenseitig prominent Düngenden aus den Biotopen des Massengeschmacks eine zum Anspruch der Sender passende Botschaft vermittelt werden.
    Aber welche Botschaft passt?
    Wie bei den meisten
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