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Sehnsüchtig (German Edition)

Sehnsüchtig (German Edition)

Titel: Sehnsüchtig (German Edition)
Autoren: Jeanne Woodtli
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vor ihr stehen, so nahe, dass sie die Hand ausstrecken und ihn berühren könnte. Das ist Wahnsinn, was machst du hier? Sie will Alans Hand loslassen und wegrennen. Fliehen, irgendwo sein. Nur nicht hier.
    Im gleichen Moment bewegt sich der rote Vorhang, jemand kommt auf die Bühne. Ihr Herz setzt einen Schlag lang aus. Sie dreht der Bühne den Rücken zu, umarmt Alan, umklammert ihn, besser gesagt, verbirgt ihr Gesicht an seinem Hals. Er scheint sich etwas zu wundern, sie ist sonst nicht besonders anhänglich in der Öffentlichkeit, sondern lästert vielmehr über jene Paare, die ihr Glück in der Öffentlichkeit allzu sehr zelebrieren. Sie hört Schritte auf der Bühne über die Musik hinweg, aber mag nicht hinsehen. „Wow, sie sieht aus wie eine Banshee!“, murmelt Alan. „Wer?“, will sie wissen, obwohl sie die Antwort schon weiss. Sie blickt auf und sieht Bewunderung auf seinem Gesicht. Sie verübelt es ihm nicht. Er reagiert auf Marlen Behringer wie alle Männer. Aus dem Augenblick sieht sie ein zerbrechliches Wesen hinter dem Vorhang verschwinden, Pailletten funkeln geheimnisvoll im Zwielicht. Sie hat ihren Bass mitgenommen, muss vielleicht eine letzte Einstellung checken. Alys atmet auf als Marlen weg ist. „Was ist eine Banshee?“, will sie dann wissen. „Eine Fee aus dem irischen Volksglauben. Sie hat die Gestalt einer jungen Frau, ist blond und wunderschön. Aber auch verdammt unheimlich. Ihre Augen sind rotgeweint und wer sie sieht oder ihren Schrei vernimmt, wird wenig später sterben. Sie sind Todesboten.“ Sie probiert ein Lächeln. „Marlen ist wunderschön, aber zu sagen, dass sie unheimlich sei, ist etwas gemein.“ Er grinst. „Sie hat was Feenhaftes, wollte ich sagen. Und ja, sie ist ein netter Anblick.“ Sie muss trotz allem grinsen. Das ist die Untertreibung des Jahres.
    „Kennst du sie?“, möchte er jetzt wissen.
    „Flüchtig. Sie ist die Bassistin und Eliot Wagners beste Freundin.“
    „Ich dachte erst, sie sei seine Verlobte. Sie würde zu ihm passen.“ Du hast doch nur Fotos von ihm gesehen. Aber du hast Recht. Er streichelt ihren Rücken und sie rückt noch näher an ihn heran. Halt mich fest. „Sie hatten auch mal was miteinander vor vielen Jahren.“ Er schmunzelt. „Du weisst gut Bescheid über die Band.“
    „Eliot hat es mal erwähnt“, sagt sie und nimmt einen grossen Schluck Gin Tonic. „Ich bin wirklich gespannt auf den Mann“, meint er. Das solltest du nicht. Und du hättest mich nicht herschleifen sollen. Ich hätte einfach Nein sagen sollen.
    Das Lokal füllt sich immer mehr und sie ist froh darum. Sieht aus, als wäre es ausverkauft. Das Publikum hat Eliot Wagner nicht vergessen. Alys freut sich für ihn. Er hat es verdient, nach allem was war. Sie lässt die Frau hinter sich vor, sie ist kleiner als sie selbst – ein guter Vorwand – dann kann sie hinter ihr in Deckung gehen. Sie schiebt sich unauffällig hinter Alan und umarmt ihn von hinten. So kommt er nicht auf die Idee, sie wieder nach vorne zu schieben. Weil er nicht viel grösser ist als sie kann sie über seine Schulter linsen und sich trotzdem hinter ihm verstecken. Guter Plan.
    Die Zeit bis zum Konzert vergeht viel zu schnell. Plötzlich ist es 21 Uhr und die Lichter im Saal verlöschen. Drei Worte leuchten rot auf. Sie nehmen die ganze Wand hinter dem Schlagzeug ein.
    No way out.
    Die LED-Lämpchen, aus denen die Schrift besteht, blinken rot und erinnern Alys an boshafte kleine Augen. Wie bei einer gemeinen Comicfigur. Kein Ausgang, kein Entrinnen . Natürlich, er holt ja jetzt die Tour zum letzten Album nach, zu „No way out“.
    Ein Beat setzt ein, elektronisch und ziemlich bedrohlich. Er erinnert ein wenig an den Anfang von „Thunder“. Eliot liebt „The Prodigy“. Vielleicht eine Hommage? Dann bewegt sich der Vorhang und Raoul kommt auf die Bühne, gefolgt vom neuen Keyboarder, dessen Namen sie nicht kennt. Sie vermutet bis heute, dass Tom, der ehemalige Keyboarder, die ungenannte Quelle in diesem miesen Artikel in „Das Blatt“ war. Billige Rache für den Rauswurf aus der Band . Levin kommt zum Vorschein und dann Marlen. Als Marlen ins Publikum lächelt, verbirgt sich Alys noch mehr hinter Alan und verschränkt ihre Hände auf seinem Bauch. Dann bewegt sich der Vorhang erneut. Sie schliesst die Augen und schmiegt ihre Wange gegen Alans Schulterblatt. Sie kann nicht hinsehen. Sie atmet seinen Duft ein, eine Mischung aus seinem Duschgel und „Le Mâle“ von Gaultier. Sie musste es
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