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Seelenzorn

Seelenzorn

Titel: Seelenzorn
Autoren: Stacia Kane
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Kollegen stand sie nun ganz anders da. Die eine Hälfte betrachtete sie als die größte Verräterin aller Zeiten, die andere schien sie für ein teuflisches Genie zu halten, weil sie Ereshdiran, den Traumdieb, gebannt hatte - aber erst nachdem er Randy Duncan, einen Ermittlerkollegen, getötet hatte. Dass Randy derjenige gewesen war, der den Traumdieb überhaupt erst heraufbeschworen hatte, kümmerte dabei die wenigsten.
    Chess kümmerte sich so oder so einen Scheiß darum. Sie störte einzig und allein, dass die Anonymität, auf die sie einst so viel Wert gelegt hatte, jetzt futsch war, und sie keinen unbeobachteten Moment mehr für sich hatte. Das war echt beschissen. Die konnten schließlich alles Mögliche mitkriegen, wenn sie die Augen offenhielten. Es gehörte sich nicht für Kirchenangestellte, drogenabhängig zu sein.
    Sie öffnete die Hintertür des Transporters mit dem Generalschlüssel und riss sie mit etwas mehr Wucht auf, als eigentlich nötig gewesen wäre. Irgendwo weiter hinten befand sich ein Erste-Hilfe-Kasten mit allerhand Gegengiften und den wichtigsten Arzneimitteln sowie Verbandszeug und Desinfektionsmitteln.
    Sie kletterte in den Wagen und ließ die Tür offen stehen, damit der kalte Wind sie weiter durchpusten konnte. Es war nicht nur die Luft in der Bruchbude gewesen, die sie ins Schwitzen gebracht hatte, und auch nicht das Gift. Sie hatte eine zusätzliche Cept eingeworfen, bevor sie das Gebäude betreten hatte, da nicht klar gewesen war, wie viel Zeit das Ritual und der anschließende Papierkram in Anspruch nehmen würde, und sie hatte nicht auf dem Trockenen sitzen wollen, falls es lange dauerte. Wenn sie still saß und sich konzentrierte, hätte sie den Rausch vielleicht sogar spüren können, aber dafür war jetzt keine Zeit. Es sei denn, sie hätte gewollt, dass dies der letzte Rausch ihres Lebens war, und das wollte sie auf keinen Fall.
    Der Kasten war unter der rückwärtigen Sitzbank verstaut. Chess zog ihn hervor und öffnete ihn. Fuck. Sie hatte die leise Hoffnung gehegt, dass Gegengifte nicht mehr in Spritzen aufbewahrt wurden. So viel zum Thema Hoffnung ...
    Außerdem war die Nadel auch noch kalt. Toll.
    Der Wind trug Stimmen in den Transporter. Sie hatte keine Ahnung, wie weit die Kollegen mit ihrer Arbeit waren, aber sie zog es vor, die Sache hinter sich zu bringen, bevor sie zum Wagen zurückkämen. Niemand würde sich irgendwas dabei denken, nicht, nachdem Dana ihnen erzählt hatte, was passiert war. Aber das machte die Vorstellung, im Laderaum eines Transporters mit einer Nadel im Arm erwischt zu werden, auch nicht angenehmer. Vielleicht war das einfach zu nahe an der Wahrheit, an der unbestreitbaren Tatsache, dass sie nur knapp davon entfernt war, an der Nadel zu hängen, und dass allein Furcht und Willenskraft sie bisher davor bewahrt hatten.
    Der Gummischlauch war steif und sträubte sich gegen das Abbinden. Chess konnte es ihm nachfühlen. Sie sträubte sich innerlich genauso. Ihr saß die Angst in der Magengrube und setzte sich dort fest wie ein Klumpen halb vergammeltes Fleisch aus Downside. Sie band den Arm ab und machte eine Faust, um die Vene hervortreten zu lassen, während sie sich in die Armbeuge klatschte. Sie hatte sich geschworen, so etwas niemals zu tun. Der Einwand, dass sie es tat, um ihr Leben zu retten - mit dem Segen der Kirche, ganz, wie man es sie gelehrt hatte - kam gegen die Angst nicht an, nicht, nachdem sie diesen Augenblick so lange hatte kommen sehen und sich immer davor gefürchtet hatte, sobald sie die Pillendose öffnete.
    Sie schüttelte den Kopf. Das war doch lächerlich. Sie hatte ihr Leben im Griff, hatte sich völlig im Griff, mehr als je zuvor. Sie schuldete niemandem Geld, sie war ausreichend mit Pillen versorgt, sie hatte es geschafft. Ein glückliches Medium.
    Ein rascher Stich, mehr war nicht nötig. Sie würde das hinbekommen, es war ganz leicht. Sie würde kaum etwas spüren, oder?
    Oder auch doch. Sie stach sich die eiskalte Nadel in die Vene, und als sie den Kolben hinunterdrückte, schoss ihr die Kälte den Arm hinauf wie ein Riss durch einen gefrorenen See. Tränen brannten ihr in den Augenwinkeln, und sie drehte den Kopf weg, als sie den Gummischlauch abriss, weil sie nicht mit ansehen wollte, wie die Spritze im Takt ihres Pulsschlags wackelte. Stattdessen durchwühlte sie den Kasten nach einer Mullkompresse.
    Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis das Gegengift sich erwärmt hatte. Ein paar weitere, bis sie die Kompresse
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