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Seelenzorn

Seelenzorn

Titel: Seelenzorn
Autoren: Stacia Kane
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Lex. Sie schauderte und musste sich zwingen, nicht die Arme um sich zu schlingen. Wenn sie der Kälte trotzen wollte, um möglichst tough auszusehen, durfte sie jetzt nicht mit den Zähnen klappern.
    Aber allmählich entfalteten die letzten beiden Cepts ihre Wirkung, und sie spürte die Kälte nicht mehr so deutlich. Apropos, sie würde sich am Morgen mit Lex treffen müssen.
    Eine große Frau mit feuerroter Haarmähne, die im Lichtschein glänzte, löste sich aus der zwielichtigen Menge und kam auf sie zu. Ihre langen Beine steckten in wollenen Strumpfhosen von der gleichen Farbe und zudem in dicken Kniestrümpfen mit orangefarbenen Streifen, die vorne aus ihren hochhackigen roten Peeptoes hervorlugten. Sie trug keinen Rock, lediglich einen dicken grünen Pullover, und um ihre Schultern hing ein glänzender schwarzer Pelzmantel. Bei jeder anderen hätte Chess auf Rattenfell getippt, aber die Frau war immerhin Red Berta. Es konnte also genauso gut Robbenfell aus der Zeit vor der Geisterwoche sein, oder irgendwas in der Richtung. Red Berta sah Furcht einflößend aus, wie die Anziehpuppe eines mordlustigen Kindes.
    »Terrible«, sagte sie, und so schnoddrig ihr Tonfall war, Chess hörte doch die Furcht heraus. »Hat ja lang genug gedauert.«
    Er antwortete nicht, sondern drängte sich durch den Kreis der Umstehenden und sah zu Chess zurück. Sie folgte ihm und ging unwillkürlich langsamer. Eine Leiche zu begutachten gehörte nicht gerade zu ihrem Wunschprogramm für diesen Abend. Tat es eigentlich nie, und dass jetzt so viele Blicke auf sie gerichtet waren, machte die Sache auch nicht attraktiver.
    Sie wurde beobachtet, von einigen neugierig, von anderen feindselig. Beides konnte sie gelassen ignorieren. Was ihr zu schaffen machte, waren die hoffnungsvollen Blicke, die waren wie ein Messer im Magen. Ein paar Frauen mit kurzen Röcken und nackten Beinen, deren rötlich weiße Blässe die beginnende Unterkühlung verriet, drängten sich aneinander und glotzten sie an als ob sie mit einem Zauberstab wedeln und ihre Freundin wieder lebendig machen könnte. Nur wenigen Menschen war klar, dass sie diese Macht nicht hatte. Meistens machte das ihr Leben einfacher. Aber nicht heute Nacht.
    Das galt auch für die unmissverständlichen Anzeichen, dass einige der Frauen eine schwache Form von Sexmagie einsetzten. Nichts Ungewöhnliches für Angehörige ihres Gewerbes, aber unangenehm für Chess. Die Magie leckte ihr feucht über die Haut, wurde zudringlich und brachte gegen ihren Willen ihr Blut in Wallung. Die plötzliche Wärme war angenehm, die Ursache dafür nicht. Unangenehm waren auch die Erinnerungen, die dabei hochkamen. Sie benutzte niemals Sexmagie.
    Terrible sah zu ihr rüber. Sein Blick war finster und ein bisschen traurig. Es sah also übel aus. Sie wappnete sich und trat an seine Seite.
    Leere Augenhöhlen, in denen das Blut stand, starrten gen Himmel. Eine endlos lange Minute sah Chess nichts anderes. Und der Mörder hatte der Frau nicht nur die Augen entfernt, sondern auch das Fleisch rundherum weggeschnitten, sodass unter den ausgefransten Rändern die Knochen hervorschauten. Chess schloss die Augen und pflanzte die Füße fester auf das rissige Pflaster. Nicht nur wegen des Anblicks, der sich ihr bot, sondern auch, weil eine penetrante Sexmagie von der Toten ausging, noch stärker als von den Lebenden.
    Das war ziemlich sonderbar. Die Frau war tot. Ihr Zauber hätte mit ihr zusammen sterben müssen, statt sich in Chess Gefühle hineinzuschleichen. Sie verstand das nicht. Die Magie hatte etwas Finsteres und fühlte sich nicht heiß an, sondern kalt, feuchtkalt und bedrückend. Als würde sie in eine Höhle gestoßen. Sie kniete sich neben den bleichen, reglosen Arm der Toten und bemühte sich, das Zittern in ihren Beinen zu unterdrücken.
    Wie bei vielen Prostituierten war das Alter schwer zu schätzen. Sie mochte fünfzehn oder auch fünfzig sein; das schlaffe, verlebte Gesicht gab darüber keinen Aufschluss.
    Ebenso wenig wie der übrige Körper. Unter all dem Blut, das bereits zu einer rissigen Schicht gefror, verbargen sich schlanke Glieder, aber in Downside traf man selten jemanden, der es schaffte, mehr als ein paar Mal in der Woche zu essen. Fast jeder war dünn oder sogar ausgemergelt.
    Das einzig Auffällige an dieser Frau, natürlich abgesehen von ihrem grausamen Tod, war die massive Sexenergie, die Chess umgarnte und ihren Arm hinaufzüngelte, als sie die eiskalte Haut berührte. Das konnte nicht die
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