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SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)

SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)

Titel: SeelenZauber - Die Wahrheit (German Edition)
Autoren: Erik Kellen
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zu welcher Zeit. Man musste den Knochen richten, dafür Sorge tragen, dass keine Splitter das Blut verdarben, es stabilisieren, verbinden, wobei nur gekochtes Leinen mit Brei aus Eberesche und Vogelbeerbaum die einzig richtige Wahl sein konnte. Den Patienten musste man mit Geschichten bei Laune halten, ihm gut zusprechen, Mut machen.
    Der Wind blätterte eine Seite des Buches weiter, drückte sie an die nächste und enthüllte dabei etwas, das niemand wissen sollte. Ein Name stand dort, hundertfach in Tinte gefasst, ein jeder in einer anderen Schrift. Das Mantra eines Mannes, der Veränderungen so sehr fürchtete wie das Ungewisse. Jeder Buchstabe war mit einer Inbrunst gemalt, die man heimliche Liebe nennen könnte. Ein ganzes Blatt verschwendet nur um einen Namen zu schreiben?, Nein, um ihn zu verewigen. Nicht viele Menschen taten so etwas, Sinuhe aber hatte es jeden Tag getan. Sieben Jahre lang.
    Auf dem Blatt, das sich dort spröde im Schein der immer kleiner werdenden Flammen regte, war nur ein Wort geschrieben: Nilah .
    Er hatte sich diese Seite so oft angesehen, war mit den Fingern über die verzweigten Linien gefahren, als sei in ihnen ein altes Lied verborgen, das niemand mehr sang.
    Sinuhe schreckte auf. Etwas stimmte nicht. Er trat auf den kleinen Balkon, der unter den steinernen Haaren des Leuchtturms verborgen war. Zuerst ging sein Blick wie immer auf die See hinaus, doch dann wandte er den Blick an der Küste entlang und hörte es.
    Ein ferner Schrei hallte durch die Luft, ein rotes Licht war dahinter, heftig wankend, kam dem Ruf auffallend näher. Sinuhe ergriff das Fernrohr, das neben ihm auf der Brüstung lag. Ein paar Drehungen an der Linsenschärfe und er erkannte eine Gestalt, die an der Steilküste entlang lief, offensichtlich ohne Mühe, etwas in den Armen tragend. Es war eine Flucht und eine Verfolgung. Er musste etwas tun, oder nicht? Denn er wusste, wer dort um sein Leben rannte. ›Und waren das dort Hörner im Mondlicht? Wann hatte es das letzte Mal Mondlicht gegeben?‹ Das war viel zu lange her.
    Sein Herz machte einen heftigen Satz. Doch dann rannte er, heillos zugegeben, aber mit so schnellen Schritten wie er nur konnte. Er holte die einzige Waffe, die er besaß - einen alten Bogen. Zitternd legte er den Pfeil auf. Er spannte die Sehne. Seine Hände wussten nicht was sie taten. Die kupferne Spitze zeigte überall hin, nur nicht auf das rote Licht. Er ließ den Bogen sinken. Das war er einfach nicht! Das war er nie gewesen. Ja, er konnte Schädel öffnen, wenn jemand dabei war, der Blut langsam werden ließ, er konnte eine Silbermünze auf das Loch legen und danach mit bebender Brust einen Becher Wein hinunterstürzen, aber er vermochte nicht einen Bogen zu spannen und auf jemanden zu zielen. Stattdessen winkte er wild mit den Armen, rief:»Hier! Queequeg, ich bin hier!« Er sah, dass die Gestalt jetzt schneller lief. Über die vielen Risse und Spalten, die dort klafften. Die rote Fackel  fiel zurück. Hoffnung, da war plötzlich ganz viel Hoffnung. Wo kam die denn her? Die Sandalen klatschten auf dem Steinboden, als er zur Tür flitzte.
    Sinuhe riss an dem Gatter vor dem Fahrstuhl, hievte es hoch, stieg ein, zog es stöhnend wieder hinunter und betätigte die verzwickte Seil-Gewichte-Gegengewichte-Konstruktion. Nichts. Er fluchte laut auf Altägyptisch, hämmerte erneut auf den Schalter, der seinen eigens erdachten Mechanismus in Gang bringen sollte. Kein Mucks! Was war denn los, verdammt noch eins? Aber ein ungewöhnliches Knarzen lief durch die Kabine und der Heiler riss flink das Gatter hoch und trat ängstlich in den engen Flur. Dann eben die verdammte Treppe.
    Er war nicht einmal vierzig Stufen hinab gekommen, als ihm der Atem ausging. Mit tauben Händen klammerte sich der kleine Arzt an das hölzerne Geländer und holte rasselnd Luft. Er schaute die Spirale aus Treppenstufen hinunter, die er noch vor sich hatte. Dann wurde er urplötzlich wagemutig, raffte sein Gewand, hangelte ein Bein wie ein mutiger Mann über das Geländer, hielt sich mit unsicheren Händen noch ein bis zwei Herzschläge daran fest und ließ dann los. Zuerst geschah nichts und er atmete erleichtert aus, doch dann kam er ins Rutschen. Durch den Leuchtturm brandete ein langgezogener Schrei, als Sinuhe hinabsauste, die Stufen an ihm vorbei rauschten wie die Kanten der Blätter in einem Buch. Sein Schrei endete erst als er unsanft auf dem Hosenboden landete. Für einen Moment war er dankbar, dass er noch lebte,
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