Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelentraeume

Seelentraeume

Titel: Seelentraeume
Autoren: Ilona Andrews
Vom Netzwerk:
Frau lächelte, ein trauriges, nachgebendes Kräuseln ihrer Lippen. »Könnte ich einen Schluck Wasser bekommen?«
    Ihr Bein blutete noch.
    »Hol ihr Wasser, Melanie.«
    »Bin ich hier die Dienstmagd?« Melanie ging in die Küche.
    Éléonore schraubte eine Flasche Reinigungsalkohol auf, goss etwas davon auf Mull aus dem Erste-Hilfe-Kasten und drückte es auf die Wunde. Die Frau zuckte zusammen.
    »Sie kommen aus dem Weird, nicht wahr? Was machen Sie hier im Edge?«
    »Ich musste fort. Ich hatte ein Pferd und Geld, aber jemand hat beides gestohlen. Ich habe versucht, etwas zu verdienen, aber niemand will sich von mir heilen lassen. Ich wollte dem Kind dieses Mannes helfen, doch er hat auf mich geschossen. Auf mich geschossen! Was ist das hier für ein verrückter Ort?«
    »Für Sie das Edge.« Aus einer Tube drückte Éléonore Neosporin auf die Wunde. »Wir sind hier nicht sehr nett zu Fremden.«
    Melanie kam mit einer Tasse zurück. Die Frau trank mit großen, durstigen Schlucken. »Danke.«
    »Wer hat auf Sie geschossen?«, fragte Melanie. »Wie sah der Mann aus?«
    »Groß, rothaarig …«
    »Ein Gesicht wie ein Wiesel?«, wollte Melanie wissen.
    »Eher wie ein Hermelin«, bekundete die Frau mit schwacher Stimme.
    »Marvin«, sagten Éléonore und Melanie wie aus einem Mund.
    »Unser Paranoiker«, übernahm Éléonore. »Der Kerl kann nicht mal in der Kirche still sitzen, weil er die Decke nach schwarzen Hubschraubern absucht.«
    »Was sind Hubschrauber?«, fragte das Mädchen.
    »Große Apparate aus Metall mit einem Propeller oben drauf. Die Polizei im Broken fliegt damit herum.«
    »Was ist das Broken?«
    »Heiliger Bimbam«, seufzte Melanie.
    »Dort, wo Sie herkommen, das ist das Weird«, sagte Éléonore. »Um hierher zu gelangen, haben Sie die Grenze überquert, eine magische Barriere, alles klar?«
    »Ja.«
    »Schön, jetzt sind Sie im Edge. Zwischen den Welten. Auf der anderen Seite vom Edge gibt es noch eine magische Barriere, und dahinter liegt ein weiterer Ort – wie das Weird, nur dass es dort keine Magie gibt.«
    »Deshalb nennt man ihn das Broken«, erklärte Melanie. »Wenn man dorthin geht, wird einem alle Magie genommen.«
    »Was soll das heißen, es gibt dort keine Magie?«, fragte die Frau.
    Éléonore machte sich weiter an der Wunde zu schaffen. Die Kugel war ins Fettgewebe des Oberschenkels eingedrungen und zwei Zentimeter weiter wieder ausgetreten. Kaum mehr als ein Kratzer. Marvin traf nicht mal eine Elefantenherde, die auf ihn zutrottete. »Wie heißen Sie?«
    »Charlotte.«
    »Sie schlafen jetzt erst mal, Charlotte. Keine Sorge. Sie sind in Sicherheit. Und Sie können bleiben, bis es Ihnen wieder besser geht. Hier wird niemand auf Sie schießen, und wir werden jede Menge Zeit haben, uns über das Broken und über Hubschrauber zu unterhalten.«
    »Danke«, flüsterte Charlotte.
    »Gern geschehen, Liebes.«
    Die junge Frau schloss die Augen. Ihre Atmung beruhigte sich. Éléonore beendete die Versorgung der Wunde.
    »Na, da hast du dir ja mal wieder ein Vögelchen mit gebrochenem Flügel eingefangen«, sagte Melanie. »Und da fragst du dich, von wem George das wohl geerbt hat.«
    »Sieh sie dir an. Wie könnte ich sie wegschicken?«
    Ihre Freundin schüttelte den Kopf. »Oh, Éléonore, ich hoffe, du weißt, was du tust.«
    Es war der Abend des folgenden Tages. Éléonore saß auf der Veranda vor ihrem Haus, trank Eistee aus dem Weird-Glas, sah den hin und her gleitenden Edge-Schwalben zu und schlug nach Moskitos.
    Hinter ihr schwang die Fliegendrahttür auf, und Charlotte kam in eine Decke gewickelt auf die Veranda. Ihr Haar war zerzaust, ihr Gesicht immer noch blass, doch ihre Augen blickten klar.
    »Besser?«, fragte Éléonore.
    »Ja.«
    »Setzen Sie sich zu mir.«
    Das Mädchen ließ sich vorsichtig auf den Stuhl sinken. Die Wunde bereitete ihr wohl noch Schmerzen.
    »Was macht das Bein?«
    »Das ist nur ein Kratzer. Tut mir leid, dass ich zusammengeklappt bin. Das waren vor allem der Schock und die Austrocknung.«
    »Hier.« Éléonore schob ihr den Teller mit Keksen hin. »Sie sehen aus, als hätten Sie eine ganze Weile nichts gegessen.«
    Charlotte nahm einen Keks. »Danke für Ihre Hilfe. Keine Ahnung, wie ich das wiedergutmachen soll.«
    »Nicht der Rede wert«, sagte Éléonore. »Woher kommen Sie? Im Weird, meine ich. Aus welchem Land?«
    Charlotte zögerte einen Augenblick. »Adrianglia.«
    »Meine Enkelin hat einen Mann aus Adrianglia geheiratet«, teilte Éléonore ihr mit.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher