Seelensunde
mo ki kara ochiru . Sogar Äffchen fallen vom Baum. Offensichtlich war sie das dümmste aller dummen Äffchen. Sie hatte die Stimme ihres Großvaters noch im Ohr, der ihr so viele japanische Sprichwörter beigebracht hatte. Sie hatte es gern, wenn er Japanisch sprach. Seine Stimme klang dann tiefund sanft, wohingegen sein Englisch etwas stockend und von einem starken Akzent geprägt war, obwohl er schon seit Jahrzehnten in den Staaten lebte.
„Tut mir wirklich aufrichtig leid“, meinte Butcher.
„Glaub ich dir.“ Ihr tat es auch leid. Einer von ihnen beiden musste in dieser Nacht auf der Strecke bleiben, und das war kein angenehmer Gedanke.
Butcher holte ihre Pistole aus dem Schulterhalfter und das Messer aus dem Gürtel. Naphré hörte, wie beides zu Boden fiel und über den Asphalt schlitterte, als er es mit dem Fuß unter den Wagen stieß. All das lief so ab wie immer, nach demselben Muster, nach dem sie auch vorgegangen wäre. Von ihm hatte sie all diese Routinen der Entwaffnung und Absicherung gelernt.
„Jetzt bückst du dich ganz langsam und holst das zweite Messer aus deinem Stiefel“, sagte er. „Dann lässt du es fallen.“
Wieder folgte sie seinen Anweisungen und achtete darauf, keine hastigen Bewegungen zu machen. Jetzt war sie gänzlich entwaffnet. Natürlich kannte er ihre Waffen. Sie hatte im Wagen sogar noch darüber gesprochen, als er sie gefragt hatte, was sie mitgebracht habe.
„Sieh es doch mal positiv“, meinte Butcher, während sie sich langsam aufrichtete und die Hände wieder hinter den Kopf nahm. „Wenigstens hast du die letzten sechs Jahre nicht auf der Matratze verbracht.“
So konnte man es in der Tat auch sehen. Die ersten drei der letzten sechs Jahre hatte sie sich in der Grundausbildung geschunden und war jeden Tag mit blauen Flecken übersät nach Hause gekommen. Die folgenden drei Jahre war es dann ihr Job gewesen, Leben auszulöschen.
Die Pistole im Anschlag, schob Butcher sie vor sich her. Naphré setzte behutsam einen Fuß vor den anderen, nicht zu schnell, noch immer darauf bedacht, Zeit zu gewinnen, während sie die Umgebung nach wie vor genau im Auge behielt. Etwa zwanzig Meter vor sich sah sie das schmiedeeiserne Friedhofstor mit seinen Verschnörkelungen. Dahinter führte umsäumtvon Gras ein schmaler Weg zwischen den Gräbern mit ihren Steinen, Säulen und Statuen hindurch. Vierzig Autominuten östlich von Toronto, der Ort hätte nicht besser gewählt sein können. Der Friedhof wurde von einer Privatgesellschaft betrieben, deren Verwaltung es offenbar nicht so genau nahm. Es gab weder Wächter noch Hunde, und die Beleuchtung war spärlich.
„Sag mal, unter uns“, begann Naphré. „Gibt es da keine andere Möglichkeit? Ich könnte doch zum Beispiel auf eine längere Reise gehen. Sagen wir mal nach Tahiti. Oder wir beide fahren dorthin? Nach Tahiti wollte ich immer schon.“
„Ich wollte, es gäbe einen Ausweg, Kleines.“ Butcher schob sie weiter vor sich her und presste ihr die Pistole in den Nacken. „Ich wollte es wirklich. Aber du hast dich mit den falschen Leuten angelegt, Naph, ihre Aufmerksamkeit auf dich gezogen.“ Naphré wunderte sich. Es kam nicht oft vor, dass Butcher so viel am Stück redete. Er klang sogar niedergeschlagen, als er hinzufügte: „Du hast richtig Mist gebaut.“
Mit wem hatte sie sich denn angelegt, wie Butcher es ausdrückte? Ganz oben auf der Liste stand Xaphan, der Hüter der Feuerseen in der Unterwelt, der ihr das Angebot gemacht hatte, in die Garde seiner Gespielinnen einzutreten. Mit so reizenden Worten wie: „Wenn ich sage, ich will dich ficken, Schlampe, dann gehst du gefälligst auf die Knie, legst die Stirn auf den Boden und bedankst dich für die Gnade, die ich dir angedeihen lasse.“ Naphré hatte dankend abgelehnt. Sie wusste, wie gehässig und nachtragend er war. Er, der Herr der Feuerseen, gehörte eher zur zweiten Garnitur der Unterweltgötter, was vermutlich auch der Grund dafür war, dass er solche Komplexe hatte. Jedenfalls gehörte er zu den Spitzenkandidaten, die in diesem Fall als Auftraggeber infrage kamen. Überhaupt ein delikater Schachzug, ihren Mentor mit ihrer Eliminierung zu beauftragen.
Butcher berührte sie leicht an der Schulter. „Du warst eine Gute, Naphré.“
Er klang bewegt, und sie nahm ihm ab, dass das nicht nur leere Worte waren. Auf seine besondere Weise lag ihm etwas an ihr, das wusste sie. Und trotzdem hielt er ihr eine großkalibrige Pistole an den Kopf. Was für eine
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