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Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)

Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)

Titel: Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
Autoren: Kerstin Wassermann
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weiter, ohne sich hinterher überhaupt an das Klingeln erinnern zu können.
    Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf ihr warmes, weiches Bett und seufzte laut. Wenn sie sich später beeilte und das Frühstück ausfallen ließ, konnte sie sich doch noch einmal für eine Viertelstunde hinlegen, vielleicht sogar für zwanzig Minuten, sagte sie sich.
    Doch ihr Pflichtbewusstsein war stärker als der Wunsch nach Bequemlichkeit. Sie hatte an diesem Tag einen wichtigen Kundentermin in der Agentur, in der sie arbeitete, da konnte sie es sich auf keinen Fall leisten, unpünktlich zu sein. Schon gar nicht bei diesem speziellen Kunden, der als besonders schwierig galt.
    »Frau Vossen, Sie machen das schon. Und wenn Sie mal nicht weiterwissen, dann flirten Sie einfach ein bisschen. Bei einer so hübschen jungen Frau, wie Sie es sind, ist kein Kerl immun gegen ein paar Augenaufschläge«, hatte ihr Chef gesagt, als er ihr den Termin aufs Auge gedrückt hatte. Als ob das so einfach wäre! Sie erinnerte sich noch gut an das erste Mal, als sie mit diesem Kunden zu tun gehabt hatte. Sie hatte eine Kollegin zur Präsentation einer Printkampagne begleitet. Selbstbewusst hatte diese die Entwürfe der einzelnen Anzeigenmotive vorgeführt, nur um dann vom Kunden völlig zerpflückt zu werden. Er hatte sie dastehen lassen wie ein dummes, kleines Mädchen. Das an sich war schon übel genug, schlimmer war noch, dass genau dieser Kerl inzwischen für einen ziemlich großen Werbeetat verantwortlich war. Einen Etat, den Linda auf keinen Fall verlieren wollte.
    Sie lief ins Bad, drückte sich ein bisschen Zahnpasta auf die Zahnbürste und begann, gründlich die Zähne zu putzen, um den schlechten, etwas säuerlichen Geschmack zu vertreiben, den sie seit dem Aufwachen im Mund hatte. Sie hoffte, dass ihrem Kunden ihre leichte Alkoholfahne nicht auffallen würde, die sie bestimmt noch hatte.
    Eigentlich hatte sie gestern mit ein paar ihrer Kolleginnen nur zu einer After-Work-Party in der Altstadt gehen wollen, aber als es sich dort langsam geleert hatte, war noch keine von ihnen in der Stimmung gewesen, nach Hause zu gehen. Also waren sie noch ein bisschen durch die Clubs gezogen und schließlich in einer Cocktailbar gelandet, die nicht nur unglaublich wohlschmeckende Drinks zu bieten gehabt hatte, sondern auch den hübschesten Barkeeper, den Linda je gesehen hatte.
    »Selber schuld«, murmelte Linda ihrem Spiegelbild zu, dem man die Ausschweifungen der letzten Nacht leider nur allzu deutlich ansah. »Hättest du nicht die Nacht zum Tag gemacht, wäre heute alles viel einfacher. Aber wie heißt es so schön: Wer feiern kann, kann auch arbeiten.«
    Nach einer ausgiebigen Dusche würde sie schon etwas frischer aussehen, sagte sie sich, und den Rest musste halt eine etwas dickere Schicht Make-Up richten.
    Sie zog sich gerade ihren Pyjama aus, um unter die Dusche zu gehen, als es an der Tür klingelte. Erstaunt hob sie den Kopf und lauschte. Sie hatte sich bestimmt verhört. Um diese Zeit bekam sie niemals Besuch, schon gar nicht unter der Woche, wenn sie arbeiten musste.
    Doch dieses Mal hörte sie die Klingel ganz deutlich. Sie warf sich schnell ihren weißen Frotteebademantel über und tappte barfuß durch den schmalen Flur zur Wohnungstür.
    Misstrauisch sah sie durch den Türspion – und erkannte den Mann, der auf sie wartete, sofort. Es war Jörn, ihr Schwager, der zusammen mit ihrer Schwester Saskia im gleichen Haus wie sie wohnte. Die Wohnung der beiden lag allerdings zwei Stockwerke weiter oben als ihre.
    Dass Jörn um diese Zeit allein vor ihrer Tür auftauchte, konnte nichts Gutes bedeuten. Sie wunderte sich, dass er überhaupt in Lübeck war. Soweit sie wusste, sollte er bis zum übernächsten Tag in Berlin bei einem Kongress sein. Aber vielleicht war Saskia ja krank geworden und er war vorzeitig von seinem Kongress zurückgekommen, um sich um sie zu kümmern. Saskia war schon immer ziemlich anfällig gewesen.
    Nervös öffnete Linda die Tür.
    »Hallo Jörn, das ist ja eine Überraschung, dich hier so früh zu sehen«, sagte sie betont munter. »Was gibt es denn?«
    Ihr Schwager erwiderte nichts. Er starrte sie nur mit ausdrucksloser Miene an.
    Linda fiel auf, dass er sich nicht rasiert hatte, ein Umstand, der für ihn völlig untypisch war. Außerdem wirkte seine Haut unnatürlich blass, und tiefe Schatten lagen unter seinen leicht geröteten Augen. Sie wurde noch unsicherer. Irgendetwas war nicht in Ordnung, da gab es keinen
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