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Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)

Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)

Titel: Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
Autoren: Kerstin Wassermann
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blicken zu lassen. Wirklich zu trauern schien hier kaum jemand. Es hatte nicht viele Menschen gegeben, denen Saskia etwas bedeutet hatte.
    Ihr Vater, zu dem sie jahrelang keinen Kontakt gehabt hatte, war vor Kurzem gestorben. Auch das Verhältnis zu ihrer Mutter war denkbar schlecht gewesen. Beim Gedanken an sie hätte Linda beinahe höhnisch aufgelacht. Sie hätte darauf wetten können, dass Irene Vossen nicht zum Begräbnis ihrer ältesten Tochter erscheinen würde – und sie hatte recht behalten. Auch Tamara, die einzige Freundin von früher, zu der Saskia noch Kontakt gehalten hatte, war nicht da. Doch sie hatte sich zumindest entschuldigt. Sie lebte inzwischen in London und konnte aus beruflichen Gründen derzeit nicht von dort weg.
    Linda blickte auf den Sarg aus poliertem dunklen Holz, der gerade in die rechteckige Vertiefung in der Erde hinuntergelassen wurde. Trotz der Einwände des Bestattungsunternehmers hatte sie ihn mit Sonnenblumen schmücken lassen.
    Saskias Lieblingsblumen.
    Lindas Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln, als sie daran dachte, wie schwierig es gewesen war, die Blumen zu besorgen.
    »Sonnenblumen noch vor dem Frühling?«, hatte der Bestattungsunternehmer mit entsetzter Miene gefragt. »Unmöglich. Das geht auf gar keinen Fall.« Wichtiger schien ihm jedoch gewesen zu sein, dass sich das einfach nicht gehörte. Seiner Meinung nach schmückte man Särge mit Madonnenlilien oder Nelken, nicht mit Sonnenblumen oder etwas vergleichbar Rufschädigendem.
    Doch Linda hatte darauf bestanden. Es ging um die Beerdigung ihrer Schwester, und dabei zählten allein deren Geschmack und Vorlieben. Auf traditionelle Gepflogenheiten hatte Saskia ohnehin nie viel Wert gelegt. Und in Zeiten des Internets und des globalisierten Handels waren auch Sonnenblumen im März zu bekommen.
    Linda warf einen Blick hinüber zu Jörn, ihrem Schwager, der neben ihr stand. Sein Gesichtsausdruck wirkte versteinert, keinerlei Emotionen waren darauf abzulesen. Doch Linda wusste, wie sehr er litt. Er war außer ihr der einzige Mensch, dem Saskia wirklich etwas bedeutet hatte, da war sie sich ganz sicher.
    Vorsichtig schob sie ihre Hand in seine und drückte sie leicht. Sie wusste selbst nicht genau, ob sie ihn trösten wollte oder ob sie nur selbst Trost suchte, aber das war nicht entscheidend. Es gab ihr Halt, und nur das zählte.
    Jörn hielt ihre Hand fest, aber er sah sie nicht an. Sein Blick ruhte starr auf dem Sarg in dem sauber ausgekleideten Erdloch.
    Die Zeremonie neigte sich dem Ende zu. Es war an der Zeit, die Blumensträußchen in das offene Grab zu werfen.
    Linda wusste, dass sie als Erste damit an der Reihe war. Pflichtbewusst tat sie, was von ihr erwartet wurde. Es fühlte sich merkwürdig an. Es ging darum, der Toten die letzte Ehre zu erweisen und sich endgültig von ihr zu verabschieden, aber Linda kam alles so unwirklich vor.
    Neunundzwanzig , dachte sie immer wieder. Neunundzwanzig Jahre ist Saskia nur alt geworden. Das war kein Alter, in dem man sterben sollte. Und sie war sich sicher, dass Saskia auch nicht so früh hatte sterben wollen. Auch wenn alle anderen von einem Selbstmord überzeugt waren, glaubte sie nicht daran.
    Linda sah auf und musterte mit neu erwachtem Interesse die Anwesenden. Da die offizielle Zeremonie beendet war, war sie inzwischen ein paar Schritte zurückgetreten, sodass sie alle, die noch am offenen Grab standen, gut im Blick hatte. Sie hatten einigermaßen betroffene Mienen aufgesetzt, aber Linda wusste, dass kaum jemand wirklich Trauer empfand. So langsam löste sich die allgemeine Stimmung. Einige begannen miteinander zu reden, sogar ein leises, unterdrücktes Lachen drang zu ihr herüber. Eigentlich war das ja auch kein Wunder. Sie hatten Saskia ja kaum gekannt, wenn überhaupt waren sie ihr mal begegnet, wenn sie mit Jörn zu irgendwelchen offiziellen Anlässen erschienen war.
    Aber vielleicht war einer unter ihnen, dem die Zeremonie tatsächlich mehr bedeutete als den anderen, einer, der aus ganz anderen Beweggründen erschienen war.
    Vielleicht, dachte Linda verbittert, ist einer von ihnen Saskias Mörder.
     

Donnerstag, 14. März
    Mit gemischten Gefühlen fuhr Suna Lürssen zu der repräsentativen Gründerzeitvilla in St. Gertrud, in der Robert Lürssen seine Kanzleiräume hatte. Erst am Vormittag hatte er sie angerufen und sie zu einem dringenden Termin in seine Kanzlei gebeten. Er wollte ihr am Telefon nicht sagen, worum es genau ging, doch sie vermutete, dass er
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