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Seelengrab (German Edition)

Seelengrab (German Edition)

Titel: Seelengrab (German Edition)
Autoren: Nadine Buranaseda
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Annelise.“
    „Natürlich. Wie alt waren Sie damals, Annelise?“, wiederholte er seine Frage.
    „Sechs oder sieben Jahre alt, glaube ich. Ich war noch sehr klein.“
    Und hilflos der Willkür von Margot Krämer ausgeliefert, die ihre Schützlinge im Kinderheim sadistisch gequält hatte, fügte Hirschfeld in Gedanken hinzu.
    „Was hat Sie mit Ihnen angestellt?“
    „Das gehört nicht hierher“, winkte Frau Janssen ab.
    „Doch, erzählen Sie mir bitte davon. Ich habe tagtäglich mit Menschen zu tun, denen ein großes Leid widerfahren ist. Wie sind Sie in das Heim gekommen?“
    Annelise Janssen schwieg für einen Augenblick, dann erwiderte sie:
    „Meine Eltern hatten nie Zeit für uns Kinder. Vater war ständig in der Gastwirtschaft und kehrte meist erst spät in der Nacht zurück. Mutter hat sich eines Tages aufgehängt.“
    „Und dann hat man Sie in das Kinderheim gebracht?“
    „Ja. Ich erinnere mich, dass ich viel geweint habe. Jede Nacht. Und irgendwann kamen die Albträume.“
    „Das muss eine schwere Zeit für Sie gewesen sein. Wie konnten Sie sich davon befreien?“
    Annelise Janssen musste einen Weg gefunden haben, ihren Hass über all die Jahre unter Kontrolle zu halten, bevor sie bei der Beerdigung von Margot Krämer auf deren Nichte Lena Zimmermann getroffen war. Hirschfeld stellte sich vor, dass Annelise vor Wut außer sich geraten sein musste, als sie erfuhr, dass Margot Krämer gestorben war, ohne dass sie für ihre Taten zur Verantwortung gezogen worden war. Im Gegenteil, die Nachrufe, die Hirschfeld im Internet gefunden hatte, lobten das Lebenswerk der Kinderheimleiterin in den höchsten Tönen. Die junge Frau hatte ihre zweifarbigen Augen von ihrer Großtante geerbt und musste Annelise Janssen sofort an ihre Peinigerin aus Kindertagen erinnert haben.
    „Jesus spricht zu mir. Er hat mir gesagt, dass ich nichts Falsches getan habe.“
    „Was ist damals am Rhein passiert?“, fragte Hirschfeld.
    Annelise Janssen sah ihn traurig an.
    „Ich wäre fast ertrunken. Sie hat mich immer wieder unter Wasser gedrückt, dabei hatte ich gar nichts getan.“
    Hirschfeld nickte. Jetzt wusste er, aus welchem Grund Annelise Janssen das Rheinufer als Ablageort für die beiden Leichen gewählt hatte. An dieser Stelle hatte sie fast ihr Leben verloren. Margot Krämer, die sie immer wieder in jungen Frauen mit zweifarbigen Augen wiederzuerkennen glaubte, sollte auch im Tod an diese grausame Tat erinnert werden, indem sie mit Blick zum Fluss begraben wurde.
    „Ich habe gesehen, dass Sie ihre Todesanzeige aufbewahrt haben“, sagte Hirschfeld.
    „Ja“, antwortete Annelise Janssen schlicht. „Ich konnte mich nicht davon trennen.“
    „Sie ist tot, Annelise!“, erwiderte Hirschfeld eindringlich. „Sie kann Ihnen nichts mehr tun! Wieso sagen Sie mir nicht, wo die junge Frau ist?“
    Jede Minute, die verstrich, konnte für Marie Reichert den Tod bedeuten.
    „Ich mag Sie“, entgegnete Annelise Janssen. „Aber das werde ich Ihnen nicht verraten.“
    „Marie ist genauso hilflos, wie Sie sich damals gefühlt haben, Annelise.“
    „Nein, das ist nicht wahr! Ich habe schon dafür gesorgt, dass sie nie wieder etwas Böses tun kann.“
    Damit wandte sie sich ab, presste die Lippen zusammen und schaute aus dem Fenster. Hirschfeld wusste, dass Annelise Janssen ab jetzt kein Wort mehr von sich geben würde.

71
    Hirschfeld verließ das Wohnzimmer und überließ die Verhaftung von Annelise Janssen den Kollegen des SEKs.
    „Wie ist es gelaufen?“, kam Kirchhoff ihm im Flur entgegen. In der behandschuhten Hand hielt er eine weiße Theatermaske mit zwei Sehschlitzen.
    „Sie wird uns nicht verraten, wohin sie Marie gebracht hat“, entgegnete Hirschfeld niedergeschlagen. „Was ist das?“
    „Das Ding haben wir in ihrem Schlafzimmer gefunden. Es würde mich nicht wundern, wenn sie die Maske getragen hat, während sie die jungen Frauen in ihrem Gefängnis besucht hat.“
    „Ja, aber das hilft uns jetzt auch nicht weiter. Habt ihr noch irgendetwas anderes entdeckt?“
    Kirchhoff zog die Schultern hoch und schüttelte den Kopf. Schweigend wandten sich die beiden Kriminalhauptkommissare zum Gehen.
    „Wir haben da vielleicht etwas!“, winkte Schröder ihnen zu, als sie auf den Hausflur hinaustraten. „Die Nachbarin von gegenüber hat uns gesagt, dass Frau Janssen ganz in der Nähe einen Schrebergarten besitzt.“
    „Hast du die Adresse?“, erkundigte sich Hirschfeld sofort. Vielleicht war es noch nicht zu
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