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Seelengrab (German Edition)

Seelengrab (German Edition)

Titel: Seelengrab (German Edition)
Autoren: Nadine Buranaseda
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die Linke schützend unter die Zigarette, verließ das Bett und schnippte die Asche in das schmale Waschbecken im angrenzenden Bad. Während der kleine, weiß gekachelte Raum sich mit Rauch füllte, betrachtete Hirschfeld sich im Spiegel. Er sah blass und müde aus, ein Anblick, der ihm in den letzten Monaten vertraut geworden war.
    Diesen Umstand schrieb er weniger seinem beruflichen Neuanfang in Bonn zu als vielmehr der Tatsache, dass die Vergangenheit ihn Schritt für Schritt einzuholen drohte. Der Besuch bei seinem Vater hatte alte Wunden aufgerissen, musste Hirschfeld sich widerwillig eingestehen. Im Grunde war er es müde, sich in seiner Gegenwart wie ein ungezogener Schuljunge zu fühlen. Er war 34 Jahre alt und hatte das Gefühl, dass sie beide im Begriff waren, die Rollen zu tauschen. Doch das machte die Sache nicht einfacher.
    Hirschfeld fuhr sich durch das ungekämmte Haar und fragte sich, warum er nicht länger geschlafen hatte. Andererseits wollte er seinen ersten Arbeitstag in Bonn ohne Hektik beginnen. Sein Dienst fing erst um 11 Uhr an. Zeit genug also, noch eine Zigarette zu rauchen und danach eine heiße Dusche zu nehmen.
    Eine Dreiviertelstunde später stand Hirschfeld vor seinem geöffneten Koffer, den er bei seiner Ankunft vor dem Wandschrank auf dem Boden abgestellt und noch nicht ausgepackt hatte. Wasser tropfte von seinen Haaren auf die Kleidungsstücke, als er sich daranmachte, seine Garderobe für den heutigen Tag auszuwählen. Er entschied sich für Bluejeans, weißes Hemd, grauen Pullunder und ein bügelfreies dunkelblaues Jackett.
    Um halb zehn kehrte er auf sein Zimmer zurück. Er hatte im Bistro drei Tassen Kaffee getrunken und Zeitung gelesen. Bei jedem Nachschenken hatte die Bedienung ihm das Frühstücksbuffet ans Herz gelegt, doch Hirschfeld hatte wie an den Tagen zuvor keinen Appetit verspürt.
    Er trat ans Fenster und schaute hinunter in den Hof. Eine flache Treppe führte zu einer verwaisten Sonnenterrasse, die von kahlen Bäumen bewachsen war. Es hatte angefangen zu regnen. Der Schnee war bereits am Vortag geschmolzen. Innerhalb weniger Augenblicke verwandelte sich der Nieselregen in einen heftigen Schauer, der einen Wasserfilm über die Scheibe zog und die Welt dahinter zerfließen ließ.
    Als Hirschfeld sich umwandte, fiel sein Blick auf den Beistelltisch neben dem moosgrünen Polstersessel. Darauf lag der Polizeibericht über seinen Vater. Immer noch ungelesen.

06
    Da machst du Augen! Hab dich gefunden. Gefunden, gefunden, gefunden … Konntest dich nicht länger vor mir verstecken. Nach all den Jahren. Hab immer an dich gedacht. Jeden Tag. Und nichts vergessen. Erinnerst du dich?
    Jetzt liegst du da und kannst dich nicht mehr rühren. Und wenn du schreist, wird dich niemand hören. Dafür habe ich gesorgt.
    Deine Zeit ist gekommen. Es gibt kein Zurück. Hab lange auf diesen Moment gewartet. Mir jede Sekunde unseres Wiedersehens ausgemalt. Bis ins kleinste Detail. Aber erwarte kein Mitleid. Keine Gnade. Kein Zögern. Weiß genau, was ich tue.
    Du zitterst ja. Und deine Augen sind weit aufgerissen. Warte nur, bis du deine Strafe bekommst. Dann wirst du dir wünschen, nie geboren zu sein.
    Fürchtest du dich? Bereust du? Das wird dir nicht mehr helfen. Jetzt bin ich dran, jetzt wirst du büßen für das, was du mir angetan hast!

07
    „Guten Morgen“, begrüßte einer der beiden Uniformierten hinter der Rezeption des Bonner Polizeipräsidiums Hirschfeld. Das blaue Hemd spannte über dem Bauch des Beamten. Er hatte ein joviales Lächeln aufgelegt und setzte gerade zu einer Frage an.
    „Kriminalhauptkommissar Hirschfeld“, kam Hirschfeld ihm zuvor, „ich werde erwartet.“
    Der Beamte klappte den Mund wieder zu. Dann nickte er und griff zum Telefon. Als er wieder auflegte, sagte er:
    „Einen Augenblick, Sie werden abgeholt.“
    Der Uniformierte deutete auf ein paar Sitzgelegenheiten. Hirschfeld bedankte sich, stellte sich neben einen der mit blauem Stoff bezogenen Hocker und wartete.
    „Lutz Hirschfeld?“, fragte eine raue Bassstimme hinter ihm.
    Zweifellos war er nicht der einzige Raucher im Kommissariat, schoss es Hirschfeld durch den Kopf, als er sich umwandte. Vor ihm stand ein weißhaariger Mann in den Fünfzigern. Er hatte ungewöhnlich blaue Augen, die ihn hinter einer randlosen Brille aufmerksam musterten, und trug einen dunkelgrauen Anzug mit einem hellgrauen Hemd. Auf eine Krawatte hatte er verzichtet. In der rechten Hand hielt er einen Becher mit dampfendem
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