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Seelenglanz

Seelenglanz

Titel: Seelenglanz
Autoren: Brigitte Melzer
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Selbstbeherrschung kämpfen zu sehen. Er suchte nach einer Erklärung, doch ich wusste genau, dass diese Regel so nirgendwo geschrieben stand. Es war eine Art ungeschriebener Ehrenkodex – und so etwas hatte mich noch nie interessiert.
    »Ich weiß, dass du keinen Bock auf diesen Job hast, Kyriel.Aber du bist jetzt nun mal ein Schutzengel. Je eher du dich damit abfindest, desto weniger qualvoll wird es für dich sein.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Und für mich.«
    Damit abfinden? Einen Dreck würde ich tun. »Wenn dir meine Arbeitsweise nicht gefällt, dann melde mich doch. Und am besten sagst du ihnen gleich, dass ich als Schutzengel absolut ungeeignet bin.«
    »Du kapierst es nicht, oder?« Allmählich erreichte Akashiels Laune den Siedepunkt. »Ich will dich nicht melden. Himmel, ist dir eigentlich klar, was für eine Chance du bekommen hast? Willst du die wirklich wegwerfen nur wegen eines Jobs, der dir nicht zusagt? Denk doch mal nach!«
    Das hatte ich bereits ausgiebig getan, ehe ich jedoch etwas sagen konnte, materialisierte sich Japhael neben uns auf dem regennassen Bürgersteig. Wie gewohnt trug der Oberste Schutzengel eine einfache graue Robe, die in heutigen Zeiten nicht einmal mehr als Nachthemd durchgehen würde, und seine Füße steckten in Sandalen. In Modefragen war Japhael definitiv am Anbeginn der Zeit stehen geblieben. Er war groß und schlank, mit Augen so hell, dass sie beinahe farblos unter den buschigen Augenbrauen wirkten. Das schlohweiße Haar, das seinen Kopf wie lodernde Flammen umgab, verlieh ihm das Äußere eines weisen Mannes. Unter anderen Umständen hätte seine Erscheinung durchaus Eindruck auf mich gemacht, der vorsichtige, fast schon unterwürfige Blick, mit dem er Akashiel bedachte, verpasste meiner Ehrfurcht jedoch einen gewaltigen Dämpfer. Ich wusste, dass es vor nicht allzu langer Zeit zwischen den beiden zu einem heftigen Disput gekommen war, und wie es aussah, hatte Akashiel ihm immer noch nicht verziehen. Mit eisiger Miene betrachtete er seinen einstigen Mentor und Freund.
    Japhael wandte sich ohne Umschweife an mich. Schlagartig schwand jede Freundlichkeit aus seinen Zügen. »Du bist bis auf Weiteres von deinen Pflichten entbunden.«
    Obwohl ich am liebsten einen Freudenschrei ausgestoßen hätte, gab ich mich überrascht. »Was? Etwa wegen des Jungen?«
    Der Oberste Schutzengel nickte. »Die Art deines Vorgehens deckt sich nicht mit unseren Regeln. Was du da gerade veranstaltet hast, war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.«
    »Warte mal, Japhael«, mischte Akashiel sich ein. »Wie wäre es, wenn du auf unseren Bericht wartest, ehe du eine derartige Entscheidung triffst? Das hier«, in einer ausholenden Geste wies er auf die Straße und die Häuser, »ist wohl kaum der passende Rahmen für so ein Gespräch.«
    Japhaels Miene wurde ein wenig weicher, sobald er sich an seinen einstigen Schüler wandte, in der Sache jedoch blieb er hart: »Ich habe genug gesehen. Meine Entscheidung steht fest. Kyriel ist raus, bis wir entschieden haben, was mit ihm geschieht.« Er fuhr zu mir herum und hielt mir den drohend erhobenen Zeigefinger unter die Nase. »Wage es nicht, etwas zu unternehmen, solange du noch mir unterstellt bist!«
    Ich hätte ihm irgendeinen Blödsinn versprechen können, da wir aber beide wussten, dass ich mich sowieso nicht daran halten würde, sparte ich mir den Atem. Japhael interessierte sich ohnehin nicht dafür, was ich zu sagen hatte. Er nickte Akashiel kurz zu und war dann ebenso schnell verschwunden, wie er gekommen war.
    »Ich werde mit Uriel sprechen«, sagte Akashiel. »Halt die Füße still, bis ich mich bei dir melde.«
    Dann war auch er fort, und ich stand allein, für die Menschen unsichtbar, in einer regnerischen Nacht, die nacheinem tristen Anfang und einem schmerzhaften weiteren Verlauf eine derart wunderbare Wendung genommen hatte.
    Japhael hatte mich noch nie leiden können. Dass Uriel mich zum Schutzengel ernannt und damit seinem Verantwortungsbereich unterstellt hatte, war ihm von Anfang an sauer aufgestoßen, doch seine Proteste waren bei Uriel ebenso auf taube Ohren gestoßen wie die meinen. Allerdings fragte ich mich, warum Japhael mich ausgerechnet wegen des Jungen suspendierte. Wir hatten noch nicht einmal einen Bericht verfasst. Wie konnte er da bereits wissen, was geschehen war?
    Er hatte nicht einmal etwas dazu gesagt, wie mein Gesicht aussah.
    Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er etwas mit dem
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