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Seelenglanz

Seelenglanz

Titel: Seelenglanz
Autoren: Brigitte Melzer
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hinzugeben und den Ort aufzusuchen, an dem der Hirte und seine himmlischen Diener verehrt wurden. Da konnten sie sich auch gleich auf den Altar setzen und sich huldigen lassen.
    »Soll das die Legitimation für deine Taten sein? Solange niemand bemerkt, was du tust, ist es auch nicht böse?«
    »Nein«, sagte ich ernst. »Der Priester hat es sicherlich bemerkt. Ich rege lediglich die Frage an, ob immer alles, was du getan hast, gut und aufrichtig war.«
    »Sagt Luzifers Jünger.«
    Das genügte. Akashiel wusste nichts von meinem Dasein an Luzifers Seite, und ganz sicher hatte er nicht das Recht, mich dafür zu verurteilen. Wir kämpften für etwas, woran wir glaubten. Wir wollten eine Änderung bewirken und erreichen, dass der Hirte sich mehr um seine sogenannten Schäfchen kümmerte und nicht länger tatenlos zusah, wie sie an Hungersnöten, in Kriegen oder durch Krankheiten starben, wie es seine Politik war. Dafür waren wir aus dem Himmel verbannt worden und trotzdem setzten wir unseren Kampf noch immer fort.
    »Ich habe nie jemanden gezwungen, mir seine Seele zu verkaufen«, schoss ich zurück. »Sie alle haben es freiwillig getan. Außerdem liegt das nun hinter mir. Ich bin jetzt ein Schutzengel.«
    »Auf Bewährung«, fügte Akashiel hinzu.
    »Aber immerhin in den Augen des Hirten gut genug, um den Weg zurück zu beschreiten.«
    »Solange du dir alles hinbiegst, wie du es haben willst, ist es sinnlos, mit dir zu diskutieren.«
    »Sinnlos vielleicht«, grinste ich. »Aber gib es zu: Dir macht es doch Spaß zu versuchen, mir deine Moralvorstellungen einzuhämmern.« Akashiel schnaubte, woraufhin mein Grinsen nur breiter wurde. »Habt ihr Jungs nie gelernt Spaß zu haben?«
    »Nicht, wenn es gegen die Regeln verstößt.«
    Meine Güte, was für ein Spießer! »Ihr Schutzengel seid genauso langweilig wie euer Ruf.«
    Dieses Mal war es an Akashiel, zu grinsen. »Nicht ihr Schutzengel. Wir. Du bist jetzt einer von uns.«
    »Danke, dass du mich das nicht vergessen lässt.« Ich richtete meinen Blick wieder auf die nächtliche Kreuzung unter uns. Noch immer war keine Menschenseele zu sehen, dabei sollte mein Auftrag sich allmählich blicken lassen. Wenn ich die Akte richtig studiert hatte und meine Armbanduhr nicht falsch ging – was sie nie tat, denn sie war ein verdammt teures Modell, das ich regelmäßig warten ließ –, müsste er jeden Moment auftauchen. Ich trat einen Schritt weiter vor, so dicht an die Dachkante heran, dass ich unwillkürlich das Bedürfnis verspürte, meine Flügel zu materialisieren, um im Gleichgewicht zu bleiben. Ich tat es nicht. Akashiel würde mich bis ans Ende der Zeit damit aufziehen, wenn er mitbekäme, dass ich mich ohne Flügel in großer Höhe nicht sonderlich wohlfühlte. Auch wenn ich innerlich fast kotzen musste, diese Genugtuung würde ich ihm nicht geben.
    Der Junge, auf den wir warteten, war ein zwanzigjähriger Student, der in seiner Unachtsamkeit vor den ersten Bus des anbrechenden Tages laufen und dabei den Kürzeren ziehen würde.
    Genauer betrachtet konnte ich nur Mitleid mit den Schutzengeln haben. Den Menschen gegenüber waren sie in der Minderheit, was auch der Grund war, warum nicht jedem sein persönlicher Schutzengel zur Seite gestellt wurde. Es war ein Kampf gegen Windmühlen. Oben im Himmel gab es einen Trupp Engel, dessen Aufgabe es war, die Geschicke der Menschen und ihre Zukunft im Auge zu behalten. Drohte jemandem ein vorzeitiges Ende oder anderes Ungemach, erstellten sie einen Auftrag und schickten ihn nach unten, damit die Schutzengel sich darum kümmerten. Dass längst nicht allen geholfen werden konnte und dabeieine Menge Leute auf der Strecke blieben, lag auf der Hand. Die Schutzengel waren ein hoffnungslos unterbesetzter Haufen, der zu wenig freie Kapazitäten hatte, um jeden Auftrag zu erfüllen.
    Wenn sie auf Luzifer gehört hätten, statt ihn mit einem Tritt in den Hintern aus dem Himmel zu befördern, würde sich dieses Problem heute sicher nicht stellen.
    Mein heutiger Auftrag war simpel. Sobald der Kerl auftauchte, würde ich mich neben ihn versetzen und ihm ein ungutes Gefühl einflößen, das ihn davon abhielt, die Straße zu betreten. Bus fährt vorbei – Typ gerettet – Auftrag erfüllt – Feierabend.
    Ich sah erneut auf meine Armbanduhr. Noch zwanzig Sekunden. Eine Straße weiter bog gerade der Bus um die Ecke, die Linie 10 zum Capitol Hill. Meine Zielperson war noch immer nicht auszumachen. Wo blieb der Kerl?
    »Siehst du ihn?«, fragte
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