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Seelenband

Seelenband

Titel: Seelenband
Autoren: E Zeißler
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Bürgersteig. Sie hörte leise Schritte, die hinter ihrem Rücken schnell näher kamen, und rannte los, wobei sie hektisch nach dem Pfefferspray in ihrer Handtasche kramte.
"Lauf doch nicht weg, Süße. Wie wollen nur ein wenig Spaß!" rief die Stimme hinter ihr. Und Valerie hörte leichte, federnde Schritte, die sie spielend einholten. Mit einem Sprung versperrte ihr plötzlich einer der beiden Jungs aus dem Café den Weg. Sie drehte sich panisch um. Der zweite stand direkt hinter ihr. In ihrem engen Rock und ihren Stöckelschuhen hatte sie keine Chance gegen sie.
Wo war nur das verdammte Pfefferspray? Endlich schlossen sich ihre Finger um die kleine Dose, doch bevor sie sie rausholen konnte, packte der hinter ihr stehende Junge ihre Ellbogen und hielt sie fest. Sie versuchte sich loszureißen und er zog ihre Arme schmerzhaft nach hinten. Valeries Brüste drückten gegen den Ausschnitt ihrer Bluse und sie sah die Gier in den Augen des anderen Jugendlichen. Das war der Augenblick, in dem Valerie um Hilfe schrie.
"Scheiße, Mann, halt ihr den Mund zu!" rief er erschrocken seinem Kumpel zu.
Eine Hand fuhr auf Valeries Mund, aber dafür hatte er ihren Arm loslassen müssen. Mit aller Kraft rammte sie ihm den Ellbogen in den Magen. Der Junge krümmte sich, ging aber nicht zu Boden. Vermutlich hatte sie nur seine Rippen erwischt.
"Das wirst du mir büßen, du Schlampe!" rief er zitternd.
"Das glaube ich nicht", sagte plötzlich eine ruhige Stimme mit einem leichten Akzent. Valerie hob den Kopf und sah John mitten auf der Straße stehen. Er hatte ein Handy an seinem Ohr, das er nun seelenruhig zusammen klappte. "Die Polizei ist schon verständigt. Und solange wir auf ihr Eintreffen warten, wird es mir ein Vergnügen sein, euch eine Lektion zu erteilen." Gemächlich knöpfte er seine Manschettenknöpfe auf und begann, seine Ärmel hoch zu rollen. Die Jungs starrten ihn verdattert an. "Ich finde ja, die Polizei geht viel zu sanft mit jugendlichen Straftätern um", erklärte er beiläufig.
Valerie spürte, wie sie losgelassen wurde. "Es war doch nur ein Spaß, Mann", sagte der Junge hinter ihr hastig. Sie hörte die Panik in seiner Stimme. "Ich verschwinde!" rief er seinem Kumpel zu und lief so schnell er konnte los. Der andere warf John noch einen erschrockenen Blick zu, dann rannte er ebenfalls weg.
"Geht es Ihnen gut?" fragte John und machte einen vorsichtigen Schritt auf Valerie zu.
Sie strich ihre Bluse glatt. "Ja, ich denke schon", sagte sie zitternd. "Dank Ihnen", fügte sie etwas verspätet hinzu. "Ich hätte wohl doch das Taxi nehmen sollen", sagte sie mit dem kläglichen Versuch eines Lächelns.
"Ich denke, es ist sicherer, wenn ich Sie nach Hause begleite", sagte er.
"Sollten wir nicht hier auf die Polizei warten?" fragte sie verwundert.
"Ich habe die Polizei nicht gerufen."
"Aber Sie sagten doch ..." fing Valerie verwirrt an. Sie war noch immer ganz durcheinander.
Er sah sie mitfühlend an. "Kommen Sie, setzen Sie sich einen Moment hin", er zeigte auf einen niedrigen Wandvorsprung.
Gehorsam ging Valerie herüber und setzte sich hin. Sie war offensichtlich noch nicht in der Lage, eigenständig zu denken.
Er lehnte sich neben sie und ließ ihr schweigend und bewegungslos Zeit, zu sich zu kommen. Nach einiger Zeit begann er langsam, seine Ärmel wieder herunterzurollen, und Valerie fielen eigenartige Tätowierungen an seinen Handgelenken ins Auge. Es war ein tiefschwarzer, breiter Streifen eines verschlungenen, wunderschönen Musters, das wie ein Armband einmal um seine beiden Handgelenke ging. Es sah fremdartig und faszinierend aus und irgendwie passte es zu ihm, als würde es seine gesamte Melancholie in einer Ansammlung schwarzer Tintenpunkte ausdrücken.
"Was ist das?" fragte Valerie wider Willen.
Hastig rollte John die Ärmel herunter und machte die Knöpfe zu. "Eine Erinnerung", sagte er knapp und erhob sich. Es war klar, dass er keine weiteren Fragen diesbezüglich zulassen würde.
"Wieso haben Sie die Polizei nicht gerufen?" fragte Valerie, als ihr Gehirn endlich angefangen hatte, die Situation logisch zu verarbeiten.
"Sie wäre ohnehin nicht rechtzeitig da gewesen, um uns zu helfen", erklärte er. "Die Androhung war völlig ausreichend."
"Aber wir müssen das doch melden!" rief Valerie aus. "Wir sollten sofort zur Polizei!"
"Sie sollten jetzt erst einmal ins Bett", widersprach er ihr ruhig. "Morgen können Sie noch immer zur Polizei gehen."
"Wieso ich? Kommen Sie denn nicht mit?" fragte sie
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