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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst
Autoren: Veit Etzold
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gesprochen, die sich in das Chaos gewagt hatten. Und die internationale Gemeinschaft reagierte. Die UNO hatte ihre Präsenz um 3500 Mann aufgestockt. US-Präsident Obama hatte die Aktion »Unified Response« ausgerufen und die Altpräsidenten Bush und Clinton aufgefordert, ihre Netzwerke zu nutzen, um private Mittel einzuwerben. Auch aus Deutschland kamen mehr als 50 Millionen Euro.
    Private Mittel. Darum ging es Do ut des . Und das sagte Franco Gayo auch. In jeder Talkshow, bei jedem öffentlichen Auftritt. Aber da war noch mehr. Die Kinder in Haiti brauchten eine Zukunft. Die Frage war, ob sie diese Zukunft in der zerstörten Heimat finden konnten. In den nächsten Jahren ganz bestimmt nicht. Haiti benötigte die Kinder für den Wiederaufbau, doch die Insel brauchte auch Führungspersönlichkeiten, Menschen mit »Leadership Skills«, die sie im Westen an Eliteuniversitäten erlernen sollten, um dann nach Haiti zurückzukehren und das Land nach vorne zu bringen. Eher langfristig zwar, aber nur so konnte es gehen.
    Das war Franco Gayos Idee, die er propagierte und für die er überall um Spenden warb. Bisher sehr erfolgreich: Er beschäftigte ein Heer von Spendensammlern, die auf Provisionsbasis in den Fußgängerzonen der deutschen Großstädte arbeiteten. Und mit seinen Shows und seiner Medienpräsenz ging er gleichzeitig an die richtig dicken Portemonnaies. Besser und profitabler als Brangelina mit ihrem Tross adoptierter Kinder, die niemand gefragt hatte, ob sie überhaupt adoptiert werden wollen, oder Bono Vox und Bob Geldof mit ihrer beinahe aberwitzigen Afrikashow.
    »Die Hilfe muss von innen kommen«, verkündete Gayo in allen Talkshows und auf sämtlichen Galas. »Aber dafür muss sie zuerst von außen kommen.« Das sagte er auch in dem Imagevideo, das eine internationale Werbeagentur, pro bono , kostenlos gedreht hatte. Es zeigte Gayo mit verschiedenen Kindern, mal in einem heruntergekommenen Slum in Haiti, mal vor der Fassade des Trinity College in Oxford, mal vor dem UN-Gebäude in New York.
    »Diese Kinder träumen von einer besseren Zukunft«, verkündete er auf dem Video. »Sie wollen ein neues Haiti, doch zurzeit haben sie nicht mal einen Platz zum Schlafen.«
    Träumen und Schlafen. Dieser Zweiklang war zugleich das Motto des Vereins, das nicht nur ein Motto war, sondern auch eine Drohung: Wenn ihr uns nicht träumen lasst, lassen wir euch nicht schlafen.
    Franco Gayo wählte die Nummer und wartete auf das Freizeichen.

3
    Das Böse , dachte Clara Vidalis, kommt immer wieder.
    Für Clara kam es fast jeden Tag. Auf ihrer Netzhaut war noch das Bild eines der beiden Vergewaltiger eingebrannt, der ihr vorhin gegenübergesessen hatte, grinsend und feixend, eine umgedrehte Schirmmütze auf dem Kopf. Genau wie sein Mittäter hatte der Mann bei der Vergewaltigung unter dem Einfluss von Psychopharmaka gestanden.
    Vergewaltigung und Drogen konnten für die Schuldigen ein zweischneidiges Schwert sein. Einerseits konnten Drogen die Zurechnungsfähigkeit reduzieren. Doch wenn es sich um aufputschende Mittel wie LSD oder Amphetamine wie Kokain handelte, wurden sie meist eingenommen, um noch einen größeren Kick zu haben, um noch öfter zu können.
    Clara und Hermann hatten diesen Fall auf den Tisch bekommen, nachdem sie gerade den »Inkubus« gefasst hatten, einen hochgradig geistesgestörten Täter, der sich in seiner Anfangszeit darauf beschränkt hatte, als Stalker Frauen zu verfolgen und vor ihren Wohnungen die Mülleimer zu durchwühlen. Aus den Mülleimern hatte er die benutzten Tampons entwendet und sich daraus eine Art Tee gekocht, von dem er behauptet hatte, dass die Frauen ihm ganz von selbst zu Willen seien, nachdem er davon getrunken hatte.
    Inkubus. Ein passender Name, den sich Dr. Martin Friedrich, Chef der Abteilung für operative Fallanalyse, ausgedacht hatte. Ein Inkubus war ein Geist, der besonders schöne Frauen im Schlaf aufsucht, ihre Träume stört und sexuelle Handlungen an ihnen vornimmt. Und das hatte Manfred Heyer, der »Berliner Inkubus«, dann schließlich auch getan. Denn als er feststellen musste, dass sein Tampon-Tee nicht die erwünschte Wirkung bei den Damen seines Herzens entfaltete, hatte er sich wieder »auf die gute alte Vergewaltigung« beschränkt, wie er es Hermann im Verhör beinahe freundschaftlich anvertraut hatte.
    Und heute hatten wieder zwei Vergewaltiger gestanden. Der Prozess würde stattfinden – drei bis vier Verhandlungstage –, und das Urteil wurde verkündet.
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