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Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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essen, wofür er als Dank von ihr einen Kuss bekommen hatte. Wie ein ganz normaler Vater mit seiner Tochter. Niemand hätte vermutet, dass er anschließend seine Tochter und sich für immer betäuben würde.
    Doch wer in den Wagen geschaut hätte, nachdem das Medikament angefangen hatte zu wirken und Rúns Kopf weggesackt war, wäre erschrocken gewesen. Besonders über die Tränen auf den Wangen ihres Vaters, nachdem Rún bewusstlos geworden war. Aber niemand versuchte, ihn zu stoppen. Und niemand hinderte ihn daran, mit dem schlafenden Kind auf dem Beifahrersitz in Róbertas Garage zu fahren und das Tor hinter sich zuzuziehen, obwohl er meinte, dabei in einer der Wohnungen eine Bewegung hinter der Gardine wahrgenommen zu haben.
    Óðinn hatte den Motor ausgeschaltet, saß auf dem Fahrersitz neben seiner schlafenden Tochter und dachte ein letztes Mal darüber nach. Sobald er den Motor wieder anlassen würde, gäbe es kein Zurück mehr.
    Der verheerende Brief lief vor seinen geschlossenen Augen ab wie ein Film.
    Liebe Mama, bitte verzeih mir, dass ich dich runtergeschubst habe. Du darfst nicht böse auf mich sein, du warst selbst schuld. Ich habe versucht, die Scherben zusammenzufegen, wie du mir aufgetragen hattest, und wenn du mich nicht weiter ausgeschimpft hättest, hätte ich nicht mit dem Besen nach dir gestoßen. Ich war nicht stark genug, ihn festzuhalten und dich hochzuziehen, als du dich an ihm festgeklammert hast. Und es war auch deine Schuld, dass ich die Schale zerbrochen habe. Ich war einfach so sauer auf dich. Du hast gesagt, ich würde lügen. Aber es stimmt, dass ich Papa durch mein Fenster gesehen habe. Er war da und wollte mich bestimmt holen, wie ich gesagt habe. Ich war so wütend, als du meintest, er wäre ein Esel und könnte gar nicht so früh aufstehen, jedenfalls nicht, um mich zu holen. Du sollst nicht immer so schlechte Sachen über Papa sagen. Vielleicht wollte er ja auch nicht immer ausgeschimpft werden und hat uns deshalb verlassen. Bitte verzeih Papa, er hat das nicht mit Absicht gemacht. Er liebt mich. Jetzt habe ich mich bei dir entschuldigt, hörst du nun auf, in meine Träume zu kommen? Ich liebe dich, Kuss, deine Rún
    Der Brief bestätigte Aldís’ Aussage.
    Als sie mit zitternden Händen die Wohnung aufgesperrt hatte, hatte sie Rún wach und unter Schock vorgefunden. Aldís hatte die Ereignisse falsch interpretiert und angenommen, das Kind hätte Láras Sturz gesehen. Sie hatte die verstörte Rún in ihr Zimmer gebracht. Dort saß sie an ihrem Bett, als die Polizei eintraf – und hatte gerade von Rún erfahren, dass sie ihre Mutter gestoßen habe, wobei das alles deren Schuld gewesen sei. Besinnungslos vor Entsetzen log Aldís, sie hätte das Kind gerade geweckt, und verhinderte dadurch, dass es vor Ort verhört wurde. Als sie wieder mit Rún alleine war, schärfte sie ihr ein, zu sagen, sie habe geschlafen, woraufhin die sie nur anschaute und sagte, sie wisse gar nicht, wovon sie spreche. Sie habe doch geschlafen, das wäre ja klar. Aldís wusste weder ein noch aus und zweifelte an ihrer eigenen Wahrnehmung. Dabei wusste sie die ganze Zeit, dass sie recht hatte und versuchte bei jeder Gelegenheit, Rún dazu zu bringen, sich auszusprechen – ohne Erfolg. Aus Sorge um ihr Enkelkind sprach sie mit niemandem darüber und schaltete auch nicht die Behörden ein.
    Aus ebenjener Sorge drehte Óðinn nun den Schlüssel im Zündschloss um und öffnete die Fenster. Wenn die Wahrheit ans Licht käme, wäre Rúns Leben zerstört. Sie würde in die Jugendpsychiatrie kommen und dann von einem Heim ins nächste geschickt werden. Erwachsene wurden bestraft und nach ein paar Jahren rehabilitiert, aber bei Kindern war das anders. Óðinn hatte Angst, dass Rún psychisch krank war. Emotional gestört, was dazu führen würde, dass sie – unabhängig davon, wie sehr er versuchte, sie zu unterstützen – am Ende das Spiel wiederholen würde: einen Schulkameraden, der sie ärgerte, vor ein Auto schubsen, das Kind, das Baldur und Sigga möglicherweise adoptieren würden, in der Badewanne ertränken. Oder ein anderes Verbrechen begehen. Selbst wenn es ihm gelänge, die Umstände von Láras Tod zu vertuschen, würde er nie wieder glücklich werden – geschweige denn Rún.
    Óðinn nahm ihre schmale Hand. Ihre kleinen Finger zuckten leicht, und er drückte sie etwas fester. Die Luft war schwer und grau, wie bei einem leichten Nebel. Er fühlte sich nicht mehr schlecht. Es ging ihm gut. Er
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