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Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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verächtlich an, dass er spürte, wie ihm die Röte in die Wangen schoss.
    »Eigentlich bist du daran schuld, dass unsere Beziehung so schlecht war. Lára hat alles, was ich gesagt und getan habe, um sie wieder aufzubauen, missverstanden und als Angriff aufgefasst. Aber das wirst du vielleicht in Zukunft selbst noch erleben. Wobei ich es nicht hoffe, dafür habe ich Rún zu gerne.«
    »Ich glaube, ich weiß, was an jenem Morgen passiert ist«, erwiderte Óðinn nur. Er musste die Sache direkt ansprechen, wenn er nicht noch mehr Anschuldigungen über sich ergehen lassen wollte. »Für mich steht nichts auf dem Spiel, ich will nur, dass du Rún nicht mehr triffst. Sie muss jetzt nach vorne schauen. Falls sie Erinnerungen an den Morgen hat, dann möchte ich, dass sie sie vergisst. Es geht mir nicht um Gerechtigkeit. Ich denke nur an Rún und was das Beste für sie ist. Du entscheidest selbst, was du machst, aber ich habe mit niemandem darüber gesprochen, du brauchst dir also wegen mir keine Sorgen zu machen.«
    Die Verachtung wich aus Aldís’ Gesicht. Doch es wirkte nicht ängstlich, sondern entsetzt.
    »Wovon sprichst du eigentlich?«, sagte sie.
    »Von Lára. Von dem Sturz. Ich weiß, dass du sie gestoßen hast. Ob es unabsichtlich war, spielt keine Rolle, denn es lässt sich nun mal nicht mehr rückgängig machen. Ich werde nicht zur Polizei gehen. Ich will nur, dass Rún und ich in Ruhe gelassen werden. Von dir.«
    »Was bist du nur für ein Dummkopf.«
    Ihre Stimme klang warm und mitleidig, ganz anders als Óðinn erwartet hatte. Er meinte, in ihrem Augenwinkel eine Träne aufblitzen zu sehen, aber da hatte er sich bestimmt verguckt. Vielleicht war es nur der Schein der Stehlampe neben dem Sofa. Aldís starrte vor sich hin und stöhnte leise. Dann sah sie ihm ins Gesicht und erzählte ihm die ganze Geschichte. Er saß schweigend da, hörte zu, bis er nicht mehr konnte, und ging, ohne sich zu verabschieden. Den Schlüssel zu Róbertas Garage hatte er noch in seiner Jackentasche.

    Der Bleistift glitt auf dem leeren, obersten Blatt des Schreibblocks hin und her. Er hinterließ eine stahlgrau glänzende Oberfläche und hellere Schatten von den Buchstaben, die auf dem Blatt darüber gestanden hatten, das Óðinn für Rún auf dem Balkon verbrannt hatte. Erst hatte er alles übermalen und den Brief dann ganz lesen wollen, doch als er schon das eine oder andere Wort durchscheinen sah, wollte er ihn lieber gar nicht mehr lesen, zwang sich aber dazu. Er durfte nichts missverstehen, dafür stand zu viel auf dem Spiel. Das Lesen fiel ihm schwer, und anschließend riss er das Blatt vom Block und zerknitterte es. Er konnte sich nicht vorstellen, den Brief noch einmal zu lesen, wollte ihn nicht mehr vor Augen haben. Mit dem Blatt in der geballten Faust saß er in der Küche und überlegte. Was würde nun passieren, und wie ließ sich alles zum Guten wenden, retten, was noch zu retten war? Doch wie sehr er sich auch den Kopf zerbrach, er sah keinen Ausweg. Welche Maßnahmen er auch ergreifen würde – er könnte sich niemals mit der Sache abfinden. Wäre er bereit, durchs Feuer zu gehen, um sein eigenes Leben zu retten? Am ganzen Leib verbrannt wieder herauszukommen und sich mit dem Leben und den Qualen, die ihn danach erwarteten, abzufinden? Nein. Würde er Rún so etwas zumuten? Nein.
    Óðinn riss das Blatt in Stücke, ging auf den Balkon und ließ die Fetzen vom Wind fortwehen. Dann wanderte er durchs Wohnzimmer und dachte nach, bis er Kopfschmerzen bekam. Er massierte seine Stirn, schlug sich leicht mit der flachen Hand auf die Wangen und rief seine Tochter.
    »Rún, wir besuchen Onkel Baldur!«
    Er zog seine Schuhe an, wählte die Nummer seines Bruders und kündigte ihren Besuch an. Dann legte er auf und musterte Rún, die gerade ihre Jacke anzog. Sie lächelte ihm zu, gespannt auf diese unerwartete Abwechslung, und er lächelte zurück.

    Es war dieses Lächeln, das er sich ins Gedächtnis rief, als er ihr das Schlafmittel, das er nach Láras Tod verschrieben bekommen hatte, in dem Hamburger-Laden in den Mund schob, und er dachte auch an ihr ausgelassenes Lachen vorhin bei Baldur und Sigga. Er hörte immer wieder den fröhlichen Klang ihrer Kinderstimme, als sie sich von den beiden mit den Worten verabschiedet hatte, sie werde am Wochenende wiederkommen. Er dachte auch an den Moment, als er ihr im Auto gesagt hatte, sie müsse nicht mehr zum Handball, und ihr vorgeschlagen hatte, in der Hamburger-Fabrik zu Abend zu
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