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Seelen der Nacht

Seelen der Nacht

Titel: Seelen der Nacht
Autoren: D Harkness
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Annäherung an die Probleme der Expansion und Kontraktion ausgesprochen einleuchtend«, fuhr Clairmont ungerührt fort, als wäre er es gewohnt, Gespräche quasi allein zu führen. »Ihr letztes Buch über die alchemistische Ausbildung und Lehre habe ich noch nicht fertig gelesen, aber ich genieße es sehr.«

    »Danke«, hauchte ich. Sein Blick senkte sich von meinen Augen auf meinen Hals.
    Ich hörte auf, an meinen Kragenknöpfen zu nesteln.
    Seine unglaublichen Augen blickten wieder in meine. »Sie verstehen es meisterhaft, Ihren Lesern die Vergangenheit nahezubringen.« Ich nahm das als Kompliment, denn er als Vampir musste wissen, ob ich Unsinn erzählte. Clairmont blieb kurz still. »Dürfte ich Sie zum Abendessen einladen?«
    Mir blieb der Mund offen stehen. Abendessen? Vielleicht konnte ich ihm in der Bibliothek nicht entkommen, aber es gab für mich keinen Grund, eine ganze Mahlzeit mit ihm zu verbringen  – vor allem, da er mir nur beim Essen zusehen würde, wenn ich seine Vorlieben richtig einschätzte.
    »Ich habe schon was vor«, sagte ich barsch, ohne eine glaubhafte Erklärung abgeben zu können, was das sein sollte. »Wirklich zu schade«, murmelte er, und der Hauch eines Lächelns spielte um seine Lippen. »Dann vielleicht ein andermal. Sie werden das ganze Jahr in Oxford verbringen, nicht wahr?«
    Sich in der Nähe eines Vampirs aufzuhalten, hätte jeden nervös gemacht, außerdem rief Clairmonts Nelkenduft den eigenartigen Geruch von Ashmole 782 wieder wach. Ich war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig und beschränkte mich darum auf ein Nicken. Das erschien mir sicherer.
    »Dachte ich mir«, sagte Clairmont. »Unsere Wege werden sich bestimmt wieder kreuzen. Oxford ist so klein.«
    »Wirklich klein«, pflichtete ich ihm bei und wünschte mir, ich hätte mich entschieden, mein Forschungssemester in London zu verbringen.
    »Bis dann, Dr. Bishop. Es war mir ein Vergnügen.« Clairmont streckte mir die Hand entgegen. Abgesehen von dem kurzen Ausflug an meinen Kragen hatten seine Augen unausgesetzt meine fixiert. Ich hatte ihn auch nicht blinzeln sehen. Ich nahm meine ganze Kraft zusammen, weil ich nicht als Erste den Blick abwenden wollte.
    Meine Hand schob sich vor, zögerte aber kurz, bevor sie seine
ergriff. Ich spürte einen flüchtigen Druck, dann entzog er mir die Hand wieder. Er trat lächelnd zurück und verschwand in der Dunkelheit des ältesten Bibliotheksbereiches.
    Ich blieb reglos stehen, bis ich meine vereisten Hände wieder bewegen konnte, dann ging ich an meinen Tisch zurück und fuhr den Computer herunter. Während ich meine Papiere zusammenpackte, fragten mich die Notes and Queries vorwurfsvoll, warum ich mir die Mühe gemacht hatte, sie aus dem Regal zu holen, wenn ich nicht einmal einen Blick hineinwerfen wollte. Meine Aufgabenliste sah ebenfalls tadelnd zu mir auf. Ich riss das Blatt vom Block ab, knüllte es zusammen und versenkte es in dem geflochtenen Papierkorb unter dem Schreibtisch.
    »Es ist genug, dass ein jeder Tag seine eigene Plage hat« , murmelte ich vor mich hin.
    Der Nachtaufseher im Leseraum sah auf die Armbanduhr, als ich meine Manuskripte zurückgab. »Sie gehen heute früher, Dr. Bishop?«
    Ich nickte und biss mir auf die Lippe, um nicht herauszuplatzen, ob er nicht wisse, dass sich zwischen den paläografischen Nachschlagewerken ein Vampir herumtrieb.
    Er griff nach dem Stapel grauer Kartons, in denen die Handschriften steckten. »Werden Sie die morgen wieder brauchen?«
    »Ja«, flüsterte ich. »Morgen.«
    Nachdem ich mit der Rückgabe der Manuskripte meine letzte Gelehrtenpflicht erfüllt hatte, war ich frei. Das Klackern meiner Absätze auf dem Linoleumboden hallte von den Wänden wider, als ich durch die Gittertür vor dem Lesesaal stürmte, an den mit Samtbändern vor neugierigen Fingern geschützten Büchern vorbei, und dann die abgewetzte Holztreppe hinab in den geschlossenen Hof im Erdgeschoss. Ich lehnte mich gegen das Eisengeländer rund um die Bronzestatue von William Herbert, sog gierig die frostige Luft ein und bemühte mich, das Nelken- und Zimtaroma aus meiner Nase zu vertreiben.
    In Oxford war jede Nacht irgendwas los, ermahnte ich mich streng. Dann gab es eben einen Vampir mehr in der Stadt, na und?

     
    Trotz meiner mutigen Selbstansprache im Hof ging ich schneller als sonst nach Hause. Durch die düstere New College Lane zu gehen war schon bei Tag irgendwie unheimlich. Ich zog meine Karte durch den Schlitz am hinteren Tor des New
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