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Sechs Brüder wie wir

Sechs Brüder wie wir

Titel: Sechs Brüder wie wir
Autoren: Ravensburger
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Kosmetikköfferchen, und als sie uns alle umarmte, roch sie nach dem Parfüm, das ich gut von ihr kenne: Sie duftet danach nämlich jedes Mal, wenn sie mit Papa ausgeht.
    „Ach was, da sei mal unbesorgt“, beruhigte Oma Jeannette sie und zog hastig das Patschhändchen von Jean Sechs weg, weil er ihr seine Finger in die Nasenlöcher bohrte. „Man muss nur ein wenig auf Ordnung halten, das genügt.“
    Mama runzelte die Stirn, als komme ihr dieser Satz irgendwie bekannt vor, dann murmelte sie mit einem Achselzucken: „Nach uns die Sintflut!“, und stieg neben Papa ins Auto.
    „Auf Wiedersehen, Kinder!“, rief sie. „Seid brav!“
    „Jetzt beginnen die Ferien, Liebling!“, hörten wir Papa sagen, als er den Motor anließ.
    Wir schauten ihnen nach, wie sie davonfuhren, und winkten so lange, bis das Auto hinter der nächsten Kurve verschwunden war. Das Herz war uns schwer.
    „Na, ihr macht mir aber traurige Gesichter!“, sagte Oma Jeannette. „Freut ihr euch nicht, dass ihr bald in einem schönen Haus wohnen werdet? Außerdem haben es eure armen Eltern wirklich mal verdient, sich ein paar Tage von euch zu erholen …“
    Oma kann das einfach nicht verstehen. Natürlich gönnten wir es unseren Eltern, einmal allein wegzufahren, ohne dass das Auto bis zum Dachgepäckträger vollgepackt war und ohne sechs Jungs auf den Sitzbänken, die sich dauernd stritten. Trotzdem fehlten sie uns schon jetzt.
    Wenn man in einer Familie zu acht ist, verhält sich das nämlich folgendermaßen: Man hat immer zu wenig Platz, man stößt dem anderen genüsslich den Ellenbogen zwischen die Rippen, man wünscht sich nichts sehnlicher, als dass einem endlich keiner mehr die Stinkerfüße ins Gesicht streckt, man wäre am liebsten Einzelkind oder Waise, man will nicht mehr ständig Angst haben, mit den anderen in ein Erziehungsheim geschickt zu werden … Aber ist einer von uns nicht da, dann ist das ein bisschen so, wie wenn beim Familienquartett eine Karte fehlt: Alles kommt einem auf einmal falsch und merkwürdig vor, als wäre durch die eine fehlende Karte das ganze Spiel sinnlos geworden.
    „Heute ist ein schöner sonniger Tag“, sagte Oma. „Da will ich im Haus keinen Stubenhocker sehen! Spielt draußen was Schönes und atmet die gute, frische Landluft ein!“
    Wenn zu mir einer sagt, dass ich was Schönes spielen soll, reicht das schon, um mir den Spaß gründlich zu verderben.
    Bei Opa Jean auf dem Traktor durften diesmal die Mittleren und Jean Fünf mitfahren, um mit ihm die Felder zu bewässern. Deshalb blieben Jean Eins und ich allein zurück, schlenderten mit den Händen in den Hosentaschen durch den Garten und überlegten, was wir anstellen könnten.
    Zuerst wollten wir mit unseren selbst gebastelten Steinschleudern auf die leeren Konservendosen zielen, die wir am Ende der großen Wiese hinter dem Haus aufgestellt hatten. Aber Oma rief, dass wir nicht so weit vom Haus weggehen dürften.
    Dann haben wir die alten Fahrräder genommen und ein Wettrennen rings um den Vorplatz veranstaltet. Aber das war auch verboten, wegen der Pappkartonstreifen, die wir zwischen den Speichen rattern ließen und die Jean Sechs aufwecken konnten.
    Danach wollten wir mit Erstem und Zweitem Programm spielen, aber Oma brüllte durchs Fenster, wir dürften nicht in den Schuppen.
    Wir durften auch nicht mit unseren Gummistiefeln durch den Gemüsegarten trampeln oder uns womöglich den Hals brechen, wenn wir auf die Kirschbäume im Obstgarten kletterten …
    Was hat man von einem Garten, wenn man dort überhaupt nichts anstellen darf?
    Als wir dann gelangweilt und trübsinnig auf der Eingangstreppe hockten, wurde Oma erst so richtig wütend: Wenn wir nicht in der Lage seien, draußen was Schönes miteinander zu spielen, obwohl dafür ja wahrlich genug Platz sei, dann würde sie sich eben darum kümmern und dann würden wir schon sehen!
    Am nächsten Tag hatte sie ganz viele Vorschläge ausgearbeitet und auf kleine Zettel geschrieben, die sie dann doppelt zusammenfaltete und in einem Hut durcheinandermischte.
    „Wettbewerb der weißen Zähne“, las Jean Drei vor, der als Erster gezogen hatte.
    „Wer räumt am schnellsten auf?“ Jean Vier brauchte eine Weile, bis er den Satz entziffert hatte.
    „Weltmeisterschaft der Höflichkeit.“ Jean Eins verdrehte die Augen hinter seinen dicken Brillengläsern.
    „Olympische Spiele im Karottenschälen“, stand auf dem letzten Zettel.
    „Der Sieger bekommt jedes Mal einen kleinen Preis“, sagte Oma,
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