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SdG 08 - Kinder des Schattens

SdG 08 - Kinder des Schattens

Titel: SdG 08 - Kinder des Schattens
Autoren: Steven Ericson
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Rande der Lichtung von ihrem Zweig fallen lassen, war im Segelflug über den hart gefrorenen Schnee und die darauf verstreuten Samen hinweggeglitten.
    Nachdem ihre Flugbahn, als sie die Maus vom Boden pflückte, kurz den tiefsten Punkt erreicht hatte, stieg sie jetzt wieder nach oben und strebte mit heftigen Flügelschlägen auf einen nahe stehenden Baum zu. Dort landete sie auf einem Bein und begann einen Augenblick später zu fressen.
    Die Gestalt, die ein Dutzend Herzschläge später über die Lichtung trabte, erblickte nichts Widriges. Die Mäuse waren alle verschwunden, der Schnee so hart, dass sie darauf keine Spuren hinterlassen hatten, und die Eule erstarrte in ihrer Höhlung zwischen den Zweigen der Fichte zur Bewegungslosigkeit und beobachtete die Gestalt auf ihrem Weg über die Lichtung aus weit geöffneten Augen. Als sie vorüber war, fraß die Eule weiter.
    Die Dämmerung gehörte den Jägern, und der Raubvogel war für heute Abend noch nicht fertig.
    Während Trull Sengar den Windungen des Pfads auf dem gefrorenen Boden folgte, waren seine Gedanken weit weg, so dass er dem Wald, der ihn umgab, keinerlei Beachtung schenkte und, völlig untypisch für ihn, von allen Zeichen und Einzelheiten, die sich ihm boten, abgelenkt war. Er hatte noch nicht einmal Halt gemacht, um Sheltatha Lore, Tochter Duster, der höchstgeschätzten der Drei Töchter von Vater Schatten, ein Opfer zu bringen – obwohl er das morgen bei Sonnenuntergang wiedergutmachen würde. Ganz im Gegenteil hatte er sich zuvor schon gedankenlos durch Sprengsel aus noch vorhandenem Licht bewegt, die den Pfad getüpfelt hatten, und dadurch riskiert, die Aufmerksamkeit der launischen Sukul Ankhadu zu erregen, der Tochter der Tücke, die auch als Dippel bekannt war.
    Die Calach-Bänke wimmelten von Robben. Sie waren früh gekommen, hatten Trull überrascht, der oberhalb der Wasserlinie unbearbeitete Jade gesammelt hatte. Die Ankunft der Robben hätte normalerweise nichts als freudige Erregung in dem jungen Tiste Edur geweckt, doch mit den Robben waren noch andere gekommen, in Schiffen, die sich ringsum in der Bucht verteilten, und sie hatten bereits begonnen, die Ernte einzubringen.
    Letherii, das weißhäutige Volk aus dem Süden.
    Er konnte sich vorstellen, wie wütend die Bewohner des Dorfes, dem er sich jetzt näherte, sein würden, sobald er seine Entdeckung mitgeteilt hätte – und er teilte diese Wut. Dieser Übergriff auf das Territorium der Edur war unverschämt, der Raub der Robben, die rechtmäßig seinem Volk zustanden, eine arrogante Herausforderung der alten Übereinkünfte.
    Es gab Dummköpfe bei den Letherii, genau wie es bei den Edur Dummköpfe gab. Trull konnte sich nicht vorstellen, dass diese Tat von höherer Stelle gebilligt sein konnte. Das Große Treffen war nur noch zwei Mondzyklen entfernt. Keiner der beiden Seiten nutzte es etwas, jetzt Blut zu vergießen. Wobei es keine Rolle spielte, dass die Edur das Recht auf ihrer Seite hätten, wenn sie die Schiffe der Eindringlinge angriffen und zerstörten; die Delegation der Letherii würde aufgebracht sein, wenn ihre Mitbürger einem Blutbad zum Opfer fielen, selbst wenn es Bürger waren, die gegen die Gesetze verstoßen hatten. Die Chancen, einen neuen Vertrag zu schließen, waren gerade winzig klein geworden.
    Und das beunruhigte Trull Sengar. Die Edur hatten gerade erst einen langen, grausamen Krieg beendet; der Gedanke, dass schon bald ein anderer beginnen würde, war kaum zu ertragen.
    Er hatte seine Brüder während der Unterwerfungskriege nicht in Verlegenheit gebracht; an seinem breiten Gürtel befand sich eine Reihe aus einundzwanzig rotfleckigen Nieten, die jeweils eine bravouröse Tat symbolisierten, und von diesen waren wiederum sieben mit weißer Farbe umgeben – ein Hinweis auf echte Tötungen. Von den männlichen Nachkommen Tomad Sengars wies nur der Gürtel seines älteren Bruders mehr Trophäen auf, und das war angesichts der herausragenden Position, die Forcht Sengar unter den Kriegern der Hiroth innehatte, auch richtig so.
    Natürlich waren Kämpfe gegen die fünf anderen Stämme der Edur an strenge Regeln und Verbote gebunden, und selbst in großen, langwierigen Schlachten hatte es nie mehr als eine Hand voll Tote gegeben. Dennoch waren die Eroberungszüge anstrengend gewesen. Wenn es aber gegen die Letherii ging, gab es keine Regeln, an die die Krieger der Edur sich halten mussten. Dann ging es nicht mehr um Bravourstückchen, sondern nur noch ums Töten.
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