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SdG 05 - Der Tag des Sehers

SdG 05 - Der Tag des Sehers

Titel: SdG 05 - Der Tag des Sehers
Autoren: Steve Erikson
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nicht wüsste, Wolf. Machst du ein paar mit mir zusammen?«
    »Was hast du für Neuigkeiten, Hetan?«
    Sie lächelte, die Hände in die Hüften gestemmt. »Beim Abgrund«, sagte sie gedehnt, »was bist du ungeschickt. Sei nett zu mir und erfahre alle meine Geheimnisse – ist das die Aufgabe, die man dir gegeben hat? Eigentlich solltest du dieses Spiels allmählich müde sein. Vor allem, wenn es um mich geht.«
    »Vielleicht hast du Recht«, sagte er, richtete sich seinerseits auf und wandte sich ab.
    »Halt, Mann!«, lachte Hetan. »Willst du davonrennen wie ein Hase? Und ich habe dich Wolf genannt! Ich sollte mir einen anderen Namen ausdenken.«
    »Das steht dir frei«, erwiderte er über die Schulter, während er davonging.
    Noch einmal ertönte hinter ihm ihr Lachen. »Ah, das ist ein Spiel, das mir gefällt! Dann geh, mein lieber Hase! Meine schwer zu erwischende Beute, hah!«
    Itkovian betrat wieder das Hauptquartier und ging den Korridor hinunter, der sich an der äußeren Mauer entlangzog, bis er zum Aufgang in den Turm kam. Seine Rüstung schepperte, als er die steilen Steinstufen hinaufstieg. Er versuchte, Bilder von Hetan aus seinen Gedanken zu vertreiben, ihr lachendes Gesicht, ihre hellen, tanzenden Augen, die Rinnsale aus Schweiß, die über ihre mit Asche bedeckte Stirn rannen, die Art, wie sie dagestanden hatte, den Rücken durchgebogen, die Brüste auf provozierende, einladende Weise vorgestreckt. Er verabscheute das Wiederaufflackern lang begrabener Wünsche, die ihm jetzt zusetzten. Seine Schwüre zerbröckelten, all seine Gebete zu Fener wurden mit Schweigen beantwortet, als wären dem Gott die Opfer gleichgültig, die Itkovian seinetwillen gebracht hatte.
    Und vielleicht ist das die endgültige, vernichtende Wahrheit. Die Götter kümmert es nicht, ob sich die Sterblichen irgendeine Askese auferlegen. Und sie kümmern sich genauso wenig um Benimmregeln oder die doppelte Moral von Tempelpriestern und Mönchen. Stattdessen lachen sie vielleicht über die Ketten, mit denen wir uns selbst fesseln – über unser niemals endendes, unersättliches Bedürfnis, Fehler in den Ansprüchen zu finden, die das Leben an uns stellt. Vielleicht lachen sie uns aber auch gar nicht aus, sondern sind wütend auf uns. Vielleicht ist unsere Weigerung, das Leben zu genießen, für jene, die wir anbeten und denen wir dienen, die größte Beleidigung.
    Er erreichte die Waffenkammer am oberen Ende der Wendeltreppe, nickte den beiden Soldaten, die hier auf Posten standen, abwesend zu und stieg dann weiter die Leiter hinauf, die zur Plattform auf dem Dach führte.
    Der Destriant war bereits dort. Karnadas musterte Itkovian, als der Schild-Amboss zu ihm trat. »Ihr wirkt besorgt, mein Herr.«
    »Das stimmt, ich will es nicht leugnen. Ich hatte gerade eine Unterredung mit Fürst Jelarkan, die mit seinem Missfallen geendet hat. Anschließend habe ich mit Hetan gesprochen. Destriant, mein Glaube ist bedroht.«
    »Ihr stellt Eure Eide in Frage?«
    »Ja, das tue ich, mein Herr. Ich muss zugeben, dass ich ihre Richtigkeit in Zweifel ziehe.«
    »Habt Ihr denn geglaubt, Schild-Amboss, Eure Benimmregeln wären dazu da, Fener zu beschwichtigen?«
    Itkovian runzelte die Stirn, während er gegen die Schartenbacke gelehnt das in Rauch gehüllte feindliche Lager betrachtete. »Nun, ja – «
    »Dann habt Ihr mit einem Missverständnis gelebt, mein Herr.«
    »Erklärt Euch bitte.«
    »Natürlich. Ihr habt das Bedürfnis verspürt, Euch selbst Fesseln anzulegen, ein Bedürfnis, Eurer Seele die Verengung aufzuerlegen, die von Euren Eiden definiert wird. Mit anderen Worten, Itkovian, Eure Eide beruhen auf dem Gespräch mit Euch selbst – nicht auf dem mit Fener. Die Fesseln liegen nur in Euch selbst, genau wie Ihr im Besitz des Schlüssels seid, mit dem Ihr sie öffnen könnt, wenn Ihr sie nicht mehr benötigt.«
    »Wenn ich sie nicht mehr benötige?«
    »Ja. Wenn Euer Glaube nicht mehr durch all das bedroht wird, was zum Leben gehört.«
    »Ihr wollt also sagen, dass ich gar keine Glaubenskrise habe, sondern nur eine Krise mit meinen Eiden. Dass ich den Unterschied verwischt habe.«
    »Genau das, Schild-Amboss.«
    »Destriant«, sagte Itkovian, den Blick noch immer auf das Lager der Pannionier gerichtet, »Eure Worte laden zu einer Flut fleischlicher Gelüste ein.«
    Der Hohepriester brach in schallendes Gelächter aus. »Und hoffentlich auch zu einem drastischen Zusammenbruch Eurer missmutigen Stimmung!«
    Itkovians Mundwinkel zuckten.
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