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Schwur der Sünderin

Schwur der Sünderin

Titel: Schwur der Sünderin
Autoren: D Zinßmeister
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Männer und Frauen und gingen mit gesenkten Köpfen zurück in die Ställe.
    Nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, stöhnte Jakob leise auf. »Wir müssen Nikolaus rufen!«
    »Zum Glück ist unsere Christel noch zu klein, um zu verstehen, was passiert ist«, murmelte Sarah und blickte traurig zu ihrem Mann auf.
    Anna Maria schloss die Augen. »Nikolaus!«, flüsterte sie. »Ich habe ihn vollkommen vergessen. Wo ist er? Schläft er noch?« Fragend blickte sie Lena an, als die Tür aufgerissen wurde und ihr jüngster Bruder mit seiner dreijährigen Nichte an der Hand, die sich verschlafen die Augen rieb, hereinstolperte. Sarah hob ihr Töchterchen hoch und drückte Christel zärtlich an sich. Als Nikolaus seine Geschwister sah, warf er sich lachend in Anna Marias Arme.

    Anna Maria drehte sich auf der Strohmatratze so, dass sie ihren jüngsten Bruder Nikolaus, der neben ihr lag, betrachten konnte. Mit besorgtem Blick sah sie, wie er selbst im Schlaf noch schluchzte. Sie strich ihm zärtlich über die Wange und zog die Bettdecke fürsorglich bis zu seiner Schulter hinauf.
    Behutsam hatten die Geschwister versucht, dem Elfjährigen den Tod des Bruders mitzuteilen. Doch welche Worte gab es, um das Schreckliche zu beschreiben? Erneut hatte Anna Maria
feststellen müssen, dass in solchen Augenblicken ihre Mutter fehlte. Sie hätte die richtigen Worte gefunden. Nur die Umarmung der Mutter hätte den Schmerz des Jungen lindern können. Anna Marias Versuch, Nikolaus zu trösten, misslang kläglich. Weinend hatte sich der Junge an die Magd Lena geklammert und seine Geschwister abgewiesen.
    Als keine Tränen mehr kamen, hatte sich die Trauer des Burschen in Wut verwandelt. Zornig war er auf Peter, Jakob und seine Schwester losgegangen, beschuldigte sie, dass sie die Schuld am Tod des geliebten Bruders tragen würden. Hilflos mussten Jakob, Sarah, Anna Maria und Peter zusehen, wie der Junge tobte. Alle schienen wie gelähmt zu sein. Sie saßen stumm in der Küche, unfähig, an diesem Tag einer Arbeit nachzugehen. Nur Nikolaus ließ seinen Gefühlen freien Lauf. Wut, Weinen und Jammern wechselten sich ab, und niemand konnte den Jungen beruhigen.
    So ging es bis zum Nachmittag, als Nikolaus sich erschöpft auf die Küchenbank legte, sodass Anna Maria ihn in sein Bett brachte, wo der Knabe den Rest des Tages verschlief. Mitten in der Nacht weckte der Junge seine Schwester, kroch zu ihr ins Bett und schmiegte sich weinend in ihre Arme. Als Nikolaus wieder schluchzend eingeschlafen war, fand Anna Maria keine Ruhe. Sie dachte an Veit, ihren Liebsten, der sich in der Kammer über dem Stall das Lager mit den Knechten teilen musste.
    Anna Maria seufzte leise. Es war das erste Mal seit Monaten, dass Veit und sie getrennt waren, und sie vermisste ihn schmerzlich.
    »Es ist schon seltsam, wie sich alles gewandelt hat. Während unserer ersten Begegnung waren wir wie Feuer und Wasser gewesen. Und nun?«, murmelte sie. Als sie an ihre erste Begegnung dachte, lächelte sie still in sich hinein.
    Veits grimmige Blicke und seine ruppige Art damals hätten andere Frauen abgeschreckt. Doch Anna Maria, als Mädchen
unter vier Brüdern aufgewachsen, hatte sich nicht einschüchtern lassen.
    Noch heute bekam sie feuchte Hände, wenn sie an die Gefahr dachte, in der sie sich damals befunden hatte. Ihre Gedanken schweiften zu dem Tag im Herbst des vergangenen Jahres zurück, als sie auf der langen und beschwerlichen Suche nach ihren Brüdern allein einen dunklen Wald durchqueren musste.
    Anna Maria erinnerte sich noch an den Geruch des Waldes, der nach dem tagelangen Regen besonders durchdringend gewesen war. An den Duft der Tannennadeln und des nassen Laubs, aber auch an den bestialischen Gestank, den sie plötzlich in der Nase hatte und dem sie aus Neugierde gefolgt war.
    Niemals würde sie den Schreck vergessen, der ihr durch die Glieder fuhr, als sie ein Rudel Wölfe erspähte, das sich an einer verwesenden Leiche sattfraß. Anna Maria hatte versucht, sich unbemerkt davonzustehlen, doch der größte Wolf im Rudel entdeckte sie und folgte ihr. Als sie bei ihrer Flucht unglücklich stürzte und nicht mehr hochkam, stand das Untier zähnefletschend über ihr. Anna Maria war in diesem Augenblick überzeugt gewesen, dass sie sterben müsste. Doch unvermittelt sackte der Wolf tot über ihr zusammen, und ihr schwanden die Sinne.
    Als sie erwachte, lag sie in einer Höhle, die von einem wärmenden Lagerfeuer erhellt wurde. Das Erste, was sie
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