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Schwingen der Lust

Schwingen der Lust

Titel: Schwingen der Lust
Autoren: Riccarda Blake
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Menschen hatten es nicht einmal gemerkt. Der Großteil von ihnen würde ihn auch weiterhin verdammen für die Rolle, die ihm seine Gegner im Zusammenhang mit der Sintflut angedichtet hatten. Doch das war in Ordnung - solange er sie jetzt in Sicherheit wusste ... und, was ihm noch wichtiger war, in Freiheit.
    Der Tod seines geliebten Bruders schmerzte Azazel sehr viel mehr, und er fand auch keinen Trost darin, dass Ba’Al’T’Azar nur dem Schicksal begegnet war, dass er selbst herbeigeführt hatte. Azazel hatte nichts dagegen tun können.
    Am meisten aber bekümmerte ihn der Verlust seiner geliebten Tochter. Sie hatte ihr Leben für ihn und Magdalena geopfert. Sein Lächeln erstarb, und nun stahl sich doch eine Träne auf seine Wange.
    „Virginia“, flüsterte er voller Sehnsucht in den Wind, der ihm warm von der See entgegenwehte und durch seine Locken und die Flügel strich. Er wollte etwas Tröstliches sagen, seine Dankbarkeit ausdrücken und auch seinen Stolz auf ihre selbstlose Tat. Doch seine Kehle war wie zugeschnürt, und für lange Sekunden stand er einfach nur stumm da, den Klang ihres Namens als Echo in seinen Ohren. Da war es ihm plötzlich, als würde der Wind ganz allmählich stärker werden. Er roch frisch und unschuldig und ein klein wenig nach Nacht; ganz so wie Virginia gerochen hatte. Zuerst dachte Azazel, seine Trauer und seine Sehnsucht spielten ihm im Bündnis mit seiner Erinnerung einen Streich, doch dann bemerkte er, wie klar dieser Duft war - und dass er ihn sich nicht nur einbildete.
    Gegen jede Vernunft und auch Hoffnung hob er seinen Blick und sah nach oben. Er erkannte einen kleinen Punkt am Himmel, der rasch näher kam und dabei schnell größer wurde. Fast augenblicklich erschienen die Schwerter an seiner Seite, und er legte die Hände an ihre Griffe. Nach allem, was er wusste, konnte das, nach dem Ende der B’Nai Elohim in Karnak, nur einer sein.
    Vielmehr eine: Luzifer!
    Ihr war es auch zuzutrauen, dass sie, rein aus ihrer Lust am Quälen und Zerstören heraus, mit seinen Gefühlen spielte und ihm Virginias Duft vorgaukelte. Denn sie war eine Meisterin der Täuschung, es gab niemanden im Universum, der ihr in dieser Hinsicht ebenbürtig war.
    Er hatte damit gerechnet, dass sie ihn früher oder später finden würde. Sie waren zwar nicht grundsätzlich Feinde, aber auch weit davon entfernt, Verbündete zu sein. Doch Luzifer brauchte keine Feindschaft, um Böses zu tun. Azazel wollte gerade nach Magdalena rufen, um sie zu wecken und zu warnen, da fiel ihm auf, dass die Gestalt, die auf ihn zuflog, trotz ihrer weiten, fledermausgleichen Flügel zu groß war für Luzifer.
    „Aber“, sagte er stockend, als er sah, wer es in Wirklichkeit war.
    Virginia!
    Sie lächelte unter Tränen, beschleunigte und rauschte ihm mit weit ausgestreckten Armen so fest an die Brust, dass es ihn beinahe nach hinten geschleudert hätte.
    „Vater!“, rief sie und drückte ihr Gesicht gegen seinen Nacken.
    „Virginia“, sagte er leise, wie um den Traum nicht zu zerstören, falls es einer war. Doch es war keiner. Er fühlte sie, roch sie, hielt sie in seinen Armen ... und drückte sie gegen sich. „Das ... das ist ... das ist unmöglich.“
    „Ja, ich weiß“, sagte sie vor Freude schluchzend. „Aber es ist wahr. Ich bin es. Und ich lebe.“
    Er nahm ihr in seinen Händen zart wirkendes Gesicht und küsste ihr die Wangen ... die Nase ... die Stirn. „Wie?“
    „Mutter.“
    „Nyx?“
    Sie nickte. „Wusstest du, dass ich erst sterben musste, um eine echte Keres zu werden?“
    Er blickte sie mit großen Augen erstaunt an. „Nein“, gestand er. „Davon hatte ich keine Ahnung.“
    „Ich bin jetzt sehr viel mächtiger als zuvor. Seltsames Gefühl. Und jetzt kann ich Mutter endlich auch sehen und besuchen, wenn ich will. Sie hat mir sogar angeboten, für immer bei ihr zu bleiben, aber ich denke, ich werde erst einmal die Welt erkunden.“ Sie zögerte. „Natürlich nur, wenn du einverstanden bist.“
    Er legte eine Hand an ihre Wange. „Kleines, du bist frei. Das warst du schon immer.“
    „Aber du hast mich gebraucht.“
    „Und das wird auch immer so bleiben“, sagte er mit einem Lächeln.
    Ihr Blick fiel auf die am Boden schlafende Magdalena. Ihre Lippen nahmen einen liebevollen Zug an. „Jetzt hast du sie. Und sie wird dir mehr schenken als nur die Liebe einer Tochter.“
    „Ja, das wird sie“, sagte Azazel. „Sie wird sich freuen, zu erfahren, dass du noch lebst. Vielmehr, wieder.
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