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Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Titel: Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
Autoren: Kerstin Ekman
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Engelska Parken an Lillemor Troj herangeschlichen. Bestimmt hat sie mich unter den Bäumen stehen sehen, aber sie tat so, als bemerkte sie mich nicht, weil ich nämlich aus Kramfors bin. Das ist sie zwar auch, aber daran wollte sie nicht erinnert werden. Sie sagte stets, sie habe in Härnösand Abitur gemacht, was ja auch stimmt. Als ich das zweite Mal dort stand, waren wir einander so nahe, dass sie mich eigentlich hätte grüßen müssen. Doch sie schwang sich auf ihr Fahrrad und schaute stur geradeaus.
    Ich hatte mir jetzt schon zweimal freigenommen, um auf sie zu warten. So konnte das nicht weitergehen, denn meinem Vorgesetzten passte es nicht, dass ich mir freinahm. Ich arbeitete damals in der Stadtbibliothek von Uppsala. Wo Lillemor wohnte, wusste ich nicht, nur dass sie Literaturgeschichte und Poetik studierte. Wenn ich sie also treffen wollte, musste ich die Zeiten der Prüfungsseminare im Philologischen Institut am Ende des Parks abpassen. Ich sagte, ich müsse zum Zahnarzt, und beim dritten Mal meinte mein Chef, ich hätte anscheinend schlechte Zähne. Da sah ich durch seinen braunen Anzug hindurch. Ich sah, dass sein Baumwollunterhemd so graugelb war wie seine lange Unterhose und geflickte Ärmelbündchen hatte. Seine Brust mit den grauen Haarbüscheln und den pigmentlosen Flecken war über zwei fehlenden Rippen und einem ausgeheilten tuberkulösen Herd eingesunken.
    Das ist meine Kunst. Sie ist nicht mal schwierig. Ich kann auch Gebäude durchdringen. Von meinem Aussichtsposten aus sah ich das Haus, in dem ein eierköpfiger kleiner Professor durch das Charmeusefutter der Hosentasche an seinem Schwanz fingerte, als Shelleys Ode an den Westwind durchgenommen wurde. Ich hörte Lillemor etwas sagen. Sie verwendete das Wort frappant. Shelleys Ansicht, dass aus seinen Worten Erneuerung entstehen sollte, während sie gleichzeitig mit Funken aus einem erloschenen Ascheherd und mit einem Wirbelsturm aus Laub verglichen wurden, sei frappant. Sie äußerte sich scheu, wie es sich für eine Angehörige des weiblichen Geschlechts gehörte, dabei aber hoffnungsvoll sicher. Und sie hatte allen Grund der Welt, sicher zu sein, denn der Eierkopf intensivierte sein Gefingere, als er sie ansah.
    Ich hatte diese Prüfungsseminare drei Jahre zuvor durchlaufen. Zwar waren die Studenten jetzt noch ganz am Anfang, sprachen also eher über die Antike. Vielleicht über Sappho. Aber dass er fingerte, dessen war ich mir sicher.
    Die Fähigkeit, durch Steinwände und Unterhemden zu sehen, war mir damals ein Zeitvertreib. Mehr wurde daraus eigentlich nie. Sie verkürzte mir die Warterei, als ich auf meinen Kreppsohlen dort im Laub stand, das in schwefelgelben, brandroten und schwarz gesprenkelten Haufen unter den Bäumen moderte.
    Diesmal, es war das dritte Mal, würde ich mich nicht an der Nase herumführen lassen. Ich hatte mich ganz in der Nähe des Eingangs zum Philogogicum hinter einen Ahorn gestellt. Sowie Lillemor sich auf ihr Fahrrad setzte, wollte ich hervortreten.
    Nun schwärmten sie heraus. Ihre Stimmen klangen in dem stillen Park wie Vogelgezwitscher. Sie steckten sich Zigaretten und Pfeifen an. Feuerfliegen glühten unter ihrem eifrigen Gepaffe. Daraus würden Tumoren und Emphyseme entstehen, ich sah ihr Haar ergrauen und ihre Wangen vertrocknen und einfallen. Ich sah auch drei Besoffene auf Pontus Wikners Grab, zwei Männer und eine fette, verbrauchte Frau, deren Schlüpfer auf die Schenkel gerutscht war. Das war aber erst vor ein paar Jahren, denn so ging es damals dort nicht zu, allenfalls in Dragarbrunn. 1953 fiel auf dem Friedhof das Laub still auf unbefleckte Grabsteine herab. Zeiten zu durchdringen ist im Prinzip nicht schwieriger als Gebäude und Körper.
    Diesmal war ich gewappnet. Als Lillemor sich auf ihr Fahrrad setzte und ihren grauen Plisseerock um den Sattel drapierte, peilte ich sie an und stapfte durchs Laub. Wir stießen auf dem Kiesweg aufeinander. Sie geriet ins Schwanken und sprang vom Rad. Ich grüßte, und sie tat überrascht. So begann unser gemeinsames Leben.
    Es tut weh, wenn ich daran denke, dass sie es mir nehmen wollte. Sie scheint zu glauben, das ginge so einfach. Überlegt sie es sich anders – und wann hat sie das nicht getan! –, packe ich diese Geschichte in den Karton für havarierte Projekte. Diesen Karton bewahre ich ebenso wie alle Karteikästen und Ordner auf dem Dachboden auf. Dort sind auch ihre Tagebücher. Über deren Verlust kann sie sich ja Gedanken machen, sobald sie ihn
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