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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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Pullover. Auch als der Redeschwall über die Spielzeugabteilung für kurze Zeit ins Stocken geriet, ließ er die anderen beiden nicht an seiner Freundschaft mit Indira teilhaben.
    »Aber an meinem Geburtstag essen wir im Restaurant, oder?« Als sie ihre Sandwichs aufgegessen hatten, sprang sein kleiner Bruder von der Bank auf. Die beiden Jungen gingen immer zu den langweiligsten von allen Spielgeräten. Wenn man eine Münze in den Schlitz steckte, konnte man eine Minute lang auf einer Giraffe, einem Löwen oder einem Elefanten reiten. Aber die beiden warfen nichts ein. Der Junge bewegte seinen Körper selbst ruckartig vor und zurück, während seine Großmutter den kleinen Bruder durchschüttelte. Auf diese Weise konnten sie sich immer mehrere Minuten nach Herzenslust amüsieren. Giraffe, Löwe und Elefant. Sein Bruder entschied sich stets für den Löwen, der Junge nahm die Giraffe. Er würde niemals auf dem Elefanten reiten.
    Der Junge lebte bei seinen Großeltern, die in der Nähe der Endstation der Buslinie wohnten, in einem alten Viertel am Ufer des Kanals. Die Eltern hatten sich kurz nach der Geburt seines jüngeren Bruders scheiden lassen, worauf die Mutter mit beiden Kindern zu ihrer Familie zurückkehrte. Zwei Jahre später starb sie an einer plötzlichen Hirnblutung.
    Sie wohnten in einem Haus, das so schmal war, als wäre es von den Nachbarhäusern zusammengestaucht worden. Immerhin hatte es ein Giebeldach. Manchmal geschah es, dass der Postbote die Hausnummer übersah und einfach mit dem abzuliefernden Brief am Haus vorbeiging. In den schmalen Spalt zum Nachbarhaus passte gerade einmal eine Hand hinein. Tief darin herrschte eine schaurige Finsternis, und einer alten Legende zufolge soll einmal ein Mädchen in den Spalt geraten sein. Das Mädchen ist nie wiederaufgetaucht, obwohl seine besorgten Eltern überall nach ihm gesucht hatten. Irgendwann ist aus dem Mädchen eine Mumie geworden, die bis heute zwischen den Häusern herumspukt. »Sei lieb, sonst wirst du in den Spalt gesteckt«, lautete eine Drohung, vor der sich sämtliche Kinder im Viertel fürchteten.
    Wer vor dem Haus stand, konnte bereits ahnen, wie eng es drinnen sein mochte. Die Tapeten waren vergilbt, die Fensterrahmen durch die salzige Meeresluft verwittert und die Elektrogeräte völlig veraltet. Nur die Möbel waren mit Politur auf Hochglanz gebracht. Der Großvater des Jungen war von Beruf Schreiner. Seine Werkstatt befand sich im Erdgeschoss. Er hatte sich auf die Reparatur von Möbelstücken spezialisiert, obwohl es meistens sinnvoller war, gleich etwas Neues zu bauen – was bestimmt dazu beigetragen hätte, die Atmosphäre im Haus etwas freundlicher zu gestalten. Der Junge fragte sich stets, was sein Großvater mit dem alten Gerümpel zu schaffen hatte.
    »Neue Möbel haben zu viel Energie«, pflegte der Alte zu sagen, der sonst ein sehr einsilbiger Mensch war. »Gerade alte, ausgediente Sachen muss man gut behandeln.«
    Der Junge begriff zwar nicht genau, was er damit meinte, aber da er ihn bei der Arbeit nicht stören durfte, nickte er zustimmend.
    In der Werkstatt flogen ständig Hobelspäne herum. Es war ein einziges Durcheinander: Sofagestelle ohne Polster, schiefe Türme von übereinandergestapelten Schubladen, dreibeinige Sessel und anderer Krempel. Der Junge schaute dem Alten gern bei der Arbeit zu, um etwas von ihm zu lernen, auch wenn seine Großmutter das nicht guthieß, weil sie fürchtete, er würde seine Kleidung schmutzig machen. Ein reich verzierter Schrank, der aus dem Salon einer Villa zu stammen schien, sah hoffnungslos aus, nachdem sein Großvater sich daran zu schaffen gemacht hatte. Es fehlte das Deckbrett, das geschnitzte Ornament war mit Holzstaub übersät, die Schubladen hingen heraus. Aber der Junge wusste, dass auf seinen Großvater immer Verlass war.
    Um seine Großmutter zu beschreiben, muss man die Geschichte von ihrem Tuch erzählen. Den ganzen Tag lang, vom Aufwachen bis zum Einschlafen, egal ob sie sich drinnen oder draußen aufhielt, es durfte niemals fehlen. Ursprünglich war es sicher einmal ein ganz gewöhnliches Tuch gewesen, aus weißer Baumwolle und mit einem Blumenmuster verziert, so wie man es zum Abtrocknen von Geschirr benutzt. Aber seit der Junge denken konnte, hatte es nie diesen Zweck erfüllt. Stattdessen wischte sich seine Großmutter damit den Schweiß von der Stirn, wenn sie in der Küche Eintopf machte, oder sie schnäuzte sich damit die Nase, wenn sie den Kindern beim Ankleiden
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