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Schwestern der Angst - Roman

Schwestern der Angst - Roman

Titel: Schwestern der Angst - Roman
Autoren: Haymon
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mich nie von meiner Weiblichkeit und Hingabe verabschiedet, aber dafür wollte ich Anerkennung meiner lieben Marie. Ich läutete Sturm – kein Ton erklang, und ich unterwarf mich nicht diesen unterbrochenen Stromkreisen. Ich hatte ein Recht auf Aufklärung, Lebensgemeinschaften, zumindest auf die Freuden einer gewöhnlichen Adoptivmutter, wenn man mich nur als Halbschwester Maries gelten lassen wollte. Sie brauchte mich. Wieso erwählt sie nur einen Mann und nicht auch mich? Gewiss, er hat Status, Hirnforscher, das könnte im Alter von erheblichem Vorteil sein. Ich wirkte jedoch auch als Gegenmittel zu Alzheimer. Liebe hält den Geist fit, auch die Sehnsucht nach ihr. Marie folgte der gesellschaftlichen Konvention und nicht meinem Kommando, das war ihr Recht, und ich hatte Pflichten. Sie sollte wissen, was geschehen war.
    Nichts rührte sich in ihrer Wohnung, die Tür blieb verschlossen. Ich war bestürzt. Was sollte ich tun? Ich wusste, dass ich zu weit ging. Vor ihrer Wohnungstür trat ich einen Schritt zurück, hob das Knie, zog das Bein an, schleuderte es mit konzentrierter Kraft auf die Klinke. Die Tür sprang auf.
    Als ich in die Stadt gezogen war, um in Maries Nähe zu sein, streifte ich ziellos durch die Straßen und mied das Haus meiner Schwester, weil ich genötigt war, es zu meiden. Bis auf dreißig Meter durfte ich in ihre Nähe. Und nun war ich trittsicher in ihrem Zuhause unterwegs. Wenn das kein Zeichen war für meinen gewachsenen Selbstwert und präziser Ausdruck für wahre Nähe.
    Die Tür flog nicht allzu weit auf. Postwurfsendungen türmten sich auf dem Boden und bremsten den Schwung. Die effizienteste Technik, eine Wohnungstüre einzutreten, ist der Kick auf die Klinke, wenn keine Sicherheitsschlösser angebracht worden sind. Da ich auch an einem Werbefilm für die Sicherheit der Bürger Wiens mitgearbeitet hatte, hatte ich von einem Sicherheitsberater der Kripo die wichtigsten Knackpunkte herkömmlicher Tore kennengelernt. Kassettierte Vollholztüren tritt man am besten mit dem Absatz in den unteren Bereichen ein. Die Kassette ist aus dünnem Holz und selten mit Gittern gesichert. Die schwachen Bandeisen einer Wohnungstüre sind schuld daran, dass mit einem schwachen Fußtritt Einbrecherbanden leichten Zugang erhalten, was ich nur bestätigen kann. Im Übrigen kann man auch teure Sicherheitstüren einbauen, die aber nichts nützen, wenn die Außenwände der Wohnung nur aus Rigips bestehen. Durch Rigipswände kann man sich durchdenken, da braucht man als Einbrecher gar keine Tür.
    Ich trat über die Schwelle und drückte die Tür wieder zu. Ich wartete und lauschte. Niemand hatte den Einbruch bemerkt. Ich wartete noch ein paar Minuten. Hier war schon lange niemand mehr gewesen. Ich schob die Flugblätter und kuvertierten Broschüren mit dem Fuß zur Seite. Der Boden war so sauber, dass man von ihm essen hätte können. Wer hatte ihn aufgewischt?
    Noch an der Tür rief ich nach Marie. Die Stimme versagte mir. Dann flüsterte ich in die Zimmerflucht den Namen meiner Schwester, drehte mich hin und her und horchte tiefer in die Wohnung hinein. Die Garderobe mit ihren Haken. Die leeren Abtropftassen für Winterschuhe. Es roch nach Holzpolitur. Die Küche lag zur Linken. Es duftete blass nach Citrus. Der Kühlschrank war abgetaut, staubtrocken innen und die Tür offen. Im Schlafzimmer stand ein Doppelbett, abgezogen. Im Arbeitszimmer ein Schreibtisch, plump, bockig und bis auf die Schreibtischunterlage leergeräumt. Wer in eine Liebe mit meiner Schwester verwickelt ist, steckt nicht im Chaos einer Amour fou. Was für ein langweiliges Schlamassel. So aufgeräumt, wie diese Wohnung hinterlassen wurde, ist es ein Symptom meiner Erziehung. Kurz zweifelte ich, ob ich doch zu streng war mit Marie, wenn ich sie mit meiner Phobie vor Schmutz malträtiert hatte.
    Ich zog die Laden des Schreibtisches heraus. Alle Laden waren leer und die Ritzen staubfrei. Die Papierkörbe waren leer und der Mülleimer in der Küche appetitlich rein wie ausgeschleckt. Die Küche war billig eingerichtet, jedoch funktional. Ich öffnete die Kästen und Laden. Auch hier war alles ausgeräumt. Ich ging ins Schlafzimmer. Ich durchsuchte die Wohnung und nichts war da von Marie. Ratlos stand ich herum. Wo war all das Zeug hin? Ich suchte Zeichen, wollte nicht wahrhaben, dass sie ausgezogen war.
    Ich ging zurück ins Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtisch lag eine Schreibunterlage. Ich ging hin und hob sie hoch. Ein paar Blätter
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