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Schwestern der Angst - Roman

Schwestern der Angst - Roman

Titel: Schwestern der Angst - Roman
Autoren: Haymon
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Ausländerinnen. Der Chauffeur meiner Mutter wurde mein Stiefvater. Er war Eisverkäufer und wir bewohnten sein Elternhaus in einem Fremdenverkehrsort am See. Es war alles sauberer hier, weil die Wege asphaltiert waren. Ganz zu Hause watete man bei jedem Regen durch Morast. Dort musste man sich dauernd die Füße waschen. Hier nur die Hände vor dem Essen. Ansonsten glichen die Provinzen meiner alten und neuen Heimat einander. Erstaunt darüber, wie nah einander im Grunde unsere Örtlichkeiten atmosphärisch waren, nur sieben Autostunden entfernt, bedaure ich heute die Ausgeliefertheit an politische Verhältnisse, die unser aller Leben prägen. Wie hätte ich mich entwickelt, wären wir voneinander frei entbunden gewesen und nicht durch Grenzen und Systeme genötigt, so zu tun, als wären Familienvereinigungen die Erlösung. Ich litt unter meiner Umsiedelung, hatte keine Gelegenheit mehr, Großmutter zu besuchen. Meine Sehnsucht war so groß nach der verlorenen Geborgenheit, wie wohl Kleinstkinder ihre Mutterinstanz vermissen.
    Nachdem der eiserne Vorhang nicht mehr existierte, bestand kein Grund mehr, das Grab der Großmutter nicht zu besuchen. Meine Mutter fuhr trotzdem nie hin. Mit ihr erlebte ich dennoch eine interessante, wenn auch nur mehr kurze Zeit. Sie wurde nämlich immer dicker, ihr Bauch schwoll an. Sie begrapschte mich nicht und belästigte mich auch nicht mehr mit Küssen, sie hatte jetzt einen Mann und war schwanger. Dafür wurde ich weitergereicht. An andere Frauen, an Putzfrauen aus dem Ausland, Freundinnen meiner Mutter. Ich wurde deren Tochterersatz. Die Frauen lebten hier abseits ihrer Familien. Ja, meine Mutter war beneidet, sie hatte mich und eine neue Familie. Sie hatte Fuß gefasst. Mir war ihre Nähe schnell zudringlich und ich war froh, wenn ich außer Reichweite im Spiel vertieft war.
    Der Verlust meiner Heimat schmerzte, doch die Aussicht auf einen neuen Menschen, meine Halbschwester, tröstete mich. Sie wäre auch für mich geschaffen und sie würde länger halten als eine Puppe aus üblichem Stoff. Dass unser aller Leben nur ein Verdauen von Verlusten ist, begreife ich heute, weil es keine Annahme ist, sondern eine Gewissheit, die auf Erfahrung beruht.
    Marie kam gesund auf die Welt und wurde erwachsen. Nun hat sie eine andere exklusive Intimbeziehung als Lebensbegleitung erwählt. Sie hat ihre Schwester ersetzt, das heißt, ich war und bin zu wenig von allem für sie. Sie löste sich nicht, sie ließ mich übrig.
    Was nützt das Hirn, wenn das Herz schmerzt. Ich sagte mir oft, dass Marie ihren eigenen Weg gehen müsse. Doch bedeutete das nicht, dass ich zu vergessen war.
    Obwohl seit damals viel Zeit vergangen ist, berührte es mich tief, für ein junges Mädchen Wäsche kaufen zu dürfen. Ich arbeitete erfolgreicher, als Marie dachte. Sie empfand mich als unselbstständig. Erzwang, dass meine Wirkung aufhörte. Andere Leute lehnten meine Fürsorge nicht ab.
    Die Darstellerin aus England wusste um meine Verlässlichkeit. Wir kannten einander nur von Fotos und über das Telefon. Das Mädchen entsprach den Anforderungen, die Zuschauer an Hunde fütternde halbwüchsige Mädchen stellen. Drolligkeit und Fürsorge kurz vor Ausbruch der Pubertät. Die Potentialiät dieses Körpers zu einer Sehnsucht stillenden Erfüllung auszugestalten, befriedigt verkappt pädophile Männer und im Kinderwunsch steckende Frauen ebenso wie Alleinerzieherinnen, die ohne Partner zurechtkommen müssen, auch einsame alte Herzen, die sich die Betreuung eines Haustieres erst mit einer Altersvorsorge zutrauen. Und nicht zu vergessen die vielen Familien, die Entlastung benötigen, um zusammenhalten zu können.
    Für den frechen Charakter sind rothaarige Kinder mit Sommersprossen gefragt, für eine seriöse Erziehung spricht dunkles Haar. Ich war guter Dinge gewesen und hatte in den Katalogen der Modelagenturen nach der passenden Besetzung für die „Kiddy Catty Doggy Crackers“ geblättert. Es gab wenige Kinder, noch dazu hübsche, mit Lockenpracht. Das englische Kind erfüllte die Ansprüche. Es hatte langes schwarzes Haar, eine weiße Haut und den Rest konnte man aufmalen. Der Mund war blaßrosa und wirkte sehr appetitlich. Das Mädchen war intelligent und verantwortungsbewusst. Ich buchte es. Es würde ein Schlüsselkind spielen, das von der Schule nach Hause kommt. Nur der Hund ist in der Wohnung. Die Begrüßungsszene imponiert durch die Freude des Hundes. Er umarmt regelrecht das Mädchen, das seinen Ranzen in
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