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Schwesterlein, komm stirb mit mir

Schwesterlein, komm stirb mit mir

Titel: Schwesterlein, komm stirb mit mir
Autoren: Karen Sander
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erhob sie sich, streifte eine braune Lammfelljacke über und verließ ohne ein weiteres Wort die Gaststätte. Verdutzt beobachtete Stadler, wie sie in die Dunkelheit trat, einen Schirm aufspannte und nach ein paar Schritten um die Straßenecke verschwand.

Samstag, 19. Oktober, 17:00 Uhr
    Liz rieb sich ihren schmerzenden Nacken. Seit Stunden saß sie an ihrem Schreibtisch und las in den Akten, die Stadler ihr gegeben hatte. Von ihrem Arbeitsplatz aus hatte sie einen Blick auf den Rhein und die Auen, die sich am gegenüberliegenden westlichen Ufer erstreckten, doch sie hatte ihre Lektüre kaum unterbrochen, um hinauszusehen, und jetzt dämmerte es bereits.
Ein verlorener Tag
, dachte sie bitter,
zumal ich für diese Schinderei noch nicht einmal bezahlt werde
.
    Sie erhob sich. Vielleicht würde ein Spaziergang helfen, das Durcheinander in ihrem Kopf zu ordnen, die Zweifel zu beseitigen. Doch sie befürchtete, dass es nicht so einfach sein würde. Frustriert trat sie vor die große Pinnwand, wo sie die Fotos der Tatorte aufgehängt hatte, links der Mord an dem Transvestiten, rechts der an der Anwältin. Die äußeren Umstände hätten nicht unterschiedlicher sein können. Der nackte Körper des Mannes lag in einem Brombeergestrüpp, hinter dem eine schmutzige Mauer aufragte. Sie war Teil des Bahndamms, so viel ging aus den Akten hervor. Manuel Geismann, so hieß der Tote, lag halb auf der Seite, sodass nicht alle Einstiche zu sehen waren. Auch der aufgeschlitzte Bauch war in dieser Position kaum zu erkennen. Eine Hand war unter dem Körper eingeklemmt, die andere lag wie schützend vor der Brust. Die Nägel des Mannes waren knallrot lackiert, in dem starren Gesicht waren Reste von Make-up zu erkennen. Der Anblick hatte etwas Groteskes, so als hätte jemand versucht, mit dem geschminkten Gesicht von dem geschundenen Leib abzulenken. Der Mann war nicht in dem Gebüsch getötet worden, in dem man ihn gefunden hatte, weshalb kaum Blut zu sehen war. Seltsamerweise hatte Liz das Gefühl, dass der Anblick der Leiche aus diesem Grund noch trostloser war.
    Ganz anders bei der Anwältin. Im Gegensatz zu den tristen Bildern vom Bahndamm sprang einem hier das Rot des Blutes sofort ins Auge. Ebenso wie der Kontrast zwischen der sauberen, aufgeräumten Wohnung mit den weißen Wänden und dem Höllenloch, in das der Täter diesen Ort verwandelt hatte. Die Unmengen Blut an der Tapete, der Decke, dem Klavier, dem Bücherregal und dem weißen Teppich ließen Liz schaudern, obwohl sie die Fotos nun schon unzählige Male studiert hatte. Wäre nicht der entstellte Leichnam gewesen, hätte man den Raum beinahe für eine geschmacklose moderne Kunstinstallation halten können.
    Anders als Manuel Geismann war Leonore Talmeier nicht völlig nackt. Sie trug einen Bademantel und am linken Fuß einen Hausschuh. Und im Verhältnis dazu, dass der Täter fünfmal so häufig auf ihren Körper eingestochen hatte und die Öffnung der Bauchhöhle acht Zentimeter größer war als die des ersten Opfers, sah die Leiche fast ordentlich aus.
    Liz biss sich auf die Lippe. Ja, es gab Parallelen, die Messerstiche, die Öffnung der Bauchhöhle und vor allem die Identität der Opfer. Zwei falsche Frauen, wenn man so wollte. Aber der erste Mord schien eine spontane Tat zu sein, nichts deutete auf Vorbereitung hin. Der zweite Mord hingegen war penibel geplant worden, da war sich Liz sicher. Das bedeutete, dass der Täter zwischen den Taten einen enormen Entwicklungssprung gemacht hatte. Oder dass er in den Monaten, die zwischen beiden Verbrechen lagen, einen weiteren Mord begangen hatte, von dem bisher niemand wusste.
    Der Computer signalisierte mit einem Piepsen den Eingang einer neuen Mail. Dankbar für die Ablenkung, ging Liz zurück zum Schreibtisch. Die Mail war von Ruben, und sie war kurz und kryptisch: «Interessante Infos in Sachen Jan Schneider. Bin auf etwas gestoßen. Gehe der Sache nach. Melde mich, wenn ich mehr weiß. Ruben.»
    Liz kaute auf ihrer Unterlippe, während sie die Nachricht las. Verdammt. Sie wollte nicht, dass Ruben in der Vergangenheit herumstocherte. Er sollte nur herausfinden, ob Jan Schneider inzwischen aus der Haft entlassen worden war und wo er heute lebte. Nichts weiter. Was für eine Schnapsidee, den Jungen damit zu beauftragen! Jetzt wollte er unbedingt Detektiv spielen, na klar. Der berühmten Profilerin bei der Mördersuche helfen. Dabei hatte sie immer gedacht, Ruben sei der Einzige in ihrem Umfeld, der sich nicht für ihre
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