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Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos
Autoren: Ildikó von Kürthy
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übergestülpt, mit denen man sich im Karneval in Helmut Kohl oder Dieter Bohlen verwandeln kann.
    Angelina Jolie, habe ich gelesen, findet sich ja angeblich auch nicht hübsch. Und Nicole Kidman hätte lieber den Körper von Jennifer Lopez. Ich meine, wenn die beiden schon an sich rumnörgeln, wird man doch als Frau, die eine groß ausfallende achtunddreißig und ein klein ausfallendes A-Körbchen trägt, guten Gewissens ab und zu an sich verzweifeln dürfen.
    Ausgerechnet Veronica Ferres findet sich, wie ich der «Bunten» entnahm, sehr ansehnlich: «Ich liebe meine Falten, denn jede einzelne bedeutet gelebtes Leben.» Dasselbekönnte man natürlich auch über jeden verlorenen Zahn sagen, über Tränensäcke, Alterskurzsichtigkeit und über Schlupflieder, die einem zunehmend die Sicht versperren.
    Nein, ich liebe meine Falten nicht, das muss ich offen zugeben. Und es gibt Leute, die lieben meine Falten auch nicht. Zum Beispiel der Türsteher der Berliner «Bar Tausend».
    Es war entwürdigend. Ich war übers Wochenende nach Berlin gefahren, um Tante Rosemarie zu besuchen, die nach der Scheidung von Heinz-Peter wieder in ihr Ein-Zimmer-Appartement am Alexanderplatz gezogen war, das sie wohlweislich nicht aufgegeben hatte.
    Am Samstagabend verabredete ich mich mit Regina, die mit ihrem Politiker in die Hauptstadt gereist war.
    «Guten Abend, wir haben für zwei Personen auf den Namen von Bismarck reserviert», sagte Regina kühl zu dem Mann, der im «Grill Royal» für die Platzierung der Gäste zuständig war. Wir wurden an einen Tisch mit allerbestem Blick geführt. Ist natürlich wichtig, in einem Restaurant wie dem «Grill Royal», wo es ums Sehen und Gesehenwerden geht, auch tatsächlich etwas sehen zu können. Ansonsten kommst du dir vor wie im Theater, wenn du den Platz direkt hinter der Säule hast.
    Ungefragt stellte uns der Kellner zwei Gläser Rosé-Champagner auf den Tisch. «Wir freuen uns, dass Sie heute Abend unser Gast sind, Frau von Bismarck.»
    Wir stießen an. «Sag mal, Regina, seit wann heißt du von Bismarck? Hast du heimlich geheiratet? Ich dachte immer, dein Name wäre Krings.»
    «In Restaurants dieser Art reserviere ich immer auf von Bismarck. Da kriegst du einen guten Tisch, weil sie denken, du seist wichtig.»

    Es war rührend zu sehen, wie die bemitleidenswerten Frauen an den schlechten Tischen absurde Umwege zu den Toiletten in Kauf nahmen, bloß um einmal von den Leuten auf den guten Plätzen gesehen zu werden. Einige stolzierten derart häufig an uns vorbei, dass ich mir schon Sorgen um deren offensichtlich gestörte Verdauung machte.
    Aber ich hatte Verständnis für die aufwendig zurechtgemachten Klobesucherinnen. Man steht ja auch nicht eine Stunde vorm Spiegel, zwängt sich in was Schickes und verbrennt sich die Pfoten am Glätteisen, um dann im Niemandsland zu versauern, wo einen weder missgünstige noch begehrliche Blicke treffen können.
    Ich hingegen drosselte die Flüssigkeitszufuhr und verkniff mir jeglichen Harndrang. Ich war für diesen Toiletten-Laufsteg leider total unpassend gekleidet. Ich hatte nämlich Berlin bisher immer als eine Stadt erlebt, wo die Menschen sich lange darüber Gedanken machen, wie sie so aussehen, als hätten sie sich keine Gedanken über ihr Aussehen gemacht.
    Sicherlich muss das ein oder andere Berliner Szene-Mädchen hin und wieder kurzfristig eine Abendverabredung absagen, weil sie erst kurz vorher schockiert bemerkt, dass alle ihre Jeans frisch gewaschen sind.
    Ich blieb also den ganzen Abend lang auf meinem zerschlissenen Hosenboden sitzen und freute mich an den vielen hübsch zurechtgemachten Menschen.
    Ich mag es, wenn jemand sich Mühe gibt, so gut wie möglich auszusehen. Das liegt sicherlich auch daran, dass ich selbst im Alter von vierzehn bis siebzehn dank meiner fest installierten Zahnspange so gut wie keine Möglichkeit hatte, mein Äußeres auch nur annähernd attraktiv zu gestalten.
    Außer meiner Mutter und meiner Tante hielt mich niemand für hübsch, da konnte ich mir die störrischen Haare über die Rundbürste föhnen, soviel ich wollte. Das metallene Gestell machte mein Gesicht immer zu einem Hingucker im negativen Sinne. Und so was sitzt verdammt tief.
    Ich weiß noch, wie verunsichert ich war, als ich das verfluchte Ding endlich los war und zum ersten Mal von einem Jungen angesprochen wurde. Und zwar nicht, weil er die Hausaufgaben von mir abschreiben wollte. Ich dachte zunächst, der Typ wolle mich verspotten. Aber er
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