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Schweine zuechten in Nazareth

Titel: Schweine zuechten in Nazareth
Autoren: Amanda Sthers
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Flugticket für dich buchen, wenn du zur Beerdigung kommen willst. Ich halte mich beschäftigt, wo ich nur kann. Ich organisiere alles. Um nicht zusammenzuklappen. Ich werde später weinen, sage ich mir. Später …
    Mein Baby tröstet mich. Es macht mich stark. Sag irgendwas, Papa. Ich brauche Lärm um mich herum, in Mamas Wohnung ist alles leer. Ich wage es nicht, an ihre Sachen zu gehen. Ich habe Moshe gebeten, dich zu besuchen. Ich weiß nicht, ob du zurechtkommst. Aber vielleicht ist es für dich nicht so schlimm? Wie alle Scheidungskinder habe ich mir immer vorgestellt, dass ihr euch immer noch liebt.
    Annabelle

Harry Rosenmerck an David Rosenmerck
    Tel Aviv, 1. Dezember 2009
    David,
    als das Telefon klingelte und Annabelle mir sagte, dass deine Mutter gestorben ist, bin ich ins Bad gegangen, hab mich eingeschlossen und habe geweint.
    Meine letzten Tränen stammen aus der Zeit, als du geboren wurdest, sie strömten vor Freude. Ich habe nicht um meine Mutter geweint, aber um deine.
    Seit meinem Schlaganfall hatte ich nie mehr als drei Schritte hintereinander gemacht.
    Und nun lief ich los ohne nachzudenken, jetzt setze ich mich endlich hin, um dir zu schreiben, nachdem ich in meiner viel zu kleinen Wohnung, in der ich allein lebe, lange hin und her gelaufen bin. Ich habe die arme Frau, die mich bemuttert wie ein Kind, hinausgeworfen. Ich habe es geschafft, sie hinauszuschieben, sie, die mir sonst geholfen hat, mich zu waschen.
    Man hat ungeahnte Kräfte in sich, ungeahntes Leid auch.
    Ich schreibe dir, ich wende mich an dich. An dich, mit dem ich mittlerweile seit sechs Jahren nicht mehr rede. Eines Tages wird man zum Kind seiner Kinder. Dieser Tag ist nun gekommen.
    Ich stelle mir deinen Schmerz vor, deine Selbstvorwürfe, deine Gewissensbisse, dass du die letzten Tage deiner Mutter nicht miterlebt hast.
    Ich verstehe, warum du es getan hast. Man will nicht zugeben, dass die, die man liebt, sterblich sind.
    Genauso habe ich mich bei dir verhalten.
    Ich habe beschlossen, dass dies alles nicht wahr sei. Dass der David, den du mir vor die Nase setztest, nur für die anderen existierte.
    In meinem Kopf ist David mit einer hübschen Blondine verheiratet. In meinem Kopf hat David einen Sohn. Ich lasse ihn auf meinen Knien hüpfen. In meinem Kopf ist David Arzt und wir spielen miteinander Schach. Ich versuche nie, sein Innerstes zu ergründen. Er spielt besser als ich. Ich weiß nicht, dass David, tief drinnen, nicht einfach ist.
    In meinem Kopf küsst David andere Männer nicht auf den Mund.
    Aber mein Kopf, David, hat keine Gewissheiten mehr, mein Kopf ist ein Sack voll Tränen, Reue und ablaufender Zeit.
    Ich war wütend auf dich, ich bin es noch.
    Ich nehme es dir übel, dass meine Mutter das Konzentrationslager überlebt hat, in dem mein Vater gestorben ist, dass sie mich dem Horror zum Trotz ausgetragen hat, dass das schmächtige Baby, das ich war, ums Überleben gekämpft hat, dass ich dich schließlich gezeugt habe und nun alles mit dir aufhören soll.
    Als würdest du dem Tod Recht geben. Dem Ende unseres Namens. Dem Schatten.
    Aber, wen kümmert es, nicht wahr? Namen? Überlebende? Denn auch sie werden sterben. Alles geht dahin. Wen kümmert es noch?
    Ich werde Donnerstag zum Kaddisch da sein. Um die Frau zu beerdigen, die ich liebte. Mit meinem väterlichen Tallit werde ich euch beide bedecken. Schon bald euch drei. Monique ist nicht mehr da, aber jemand anders ist schon unterwegs, in Annabelles Bauch und in unseren dumpfen Herzen.
    Verzeih mir, mein Sohn.
    David, mein Schweigen hatte den Klang von Liebe.
    Papa

    Ich wohnte gestern einer Pariser Premiere bei, deren heuchlerische Eintracht glücklicher, vom Schicksal verwöhnter Freunde einige wenige handverlesene Journalisten umfasste, die gekommen waren, um das neue Werk des jungen, trotz allem dramatischen Autors David Rosenmerck zu begutachten.
    Weit davon entfernt auf mich abzufärben, hat diese Eintracht bei mir Flecken hinterlassen. Diese fetten dicken Flecken, die man nicht wieder los wird.
    Man hätte meinen können, das Publikum hätte sich verabredet, über das Schicksal des Protagonisten des Stücks (interpretiert durch Robert Étrica, der mit einer derart eng anliegenden Jeans ausstaffiert war, dass er darin nicht laufen konnte) an bestimmten Stellen zu lachen und zu weinen. Vielleicht haben die Zuschauer aber auch in passenden Momenten Stromstöße
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