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Schweine zuechten in Nazareth

Titel: Schweine zuechten in Nazareth
Autoren: Amanda Sthers
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dann vielleicht ihr verflixtes Studium! Mehr als zehn Jahre Studium! Nach dem MBA will sie auch noch den Doktor machen … Wozu soll das gut sein? Sie soll uns endlich ein paar Enkelkinder machen!
    Schreib deinem Sohn, ja? Sein Freund ist wirklich nett, by the way . Und benutze ein Telefon!
    Monique

Harry Rosenmerck an Monique Duchêne
    Nazareth, 6. April 2009
    Liebe Monique,
    das nennst du kurz? Dein Brief ist zwei Seiten lang, und du nervst.
    Harry

Annabelle Rosenmerck an Harry Rosenmerck
    NY , 10. April 2009
    Lieber Papa,
    ja, du hast recht, ich habe lange nicht geschrieben, verzeih mir … ich weinte, ich weinte um mein armes wundes Herz … Ich kann nicht glauben, dass Tränen, die verdunsten, an den gleichen Ort kommen wie das Meerwasser, der Regen oder das Wasser aus der Kloschüssel. Ich wünschte, es gäbe Fachärzte für Traurigkeit. Ich meine nicht Psychotherapeuten oder Akupunkteure oder sonstige Gurus. Richtige Ärzte, die den Herd der Traurigkeit aufspüren und ihn desinfizieren. Zuerst würde es weh tun. Dann würden sie ihn mit einer Art Paste bedecken, rosa wie Bonbons oder Mäusespeck für noch zahnlose Kinder, und statt mir würde die Traurigkeit ersticken. Und dann würde die Wand Risse bekommen und nicht mehr sein Gesicht haben und die Spiegel nicht mehr meins. Und ich würde den Liebeskummer-Arzt bezahlen, ich würde ihm alles geben, was er verlangt. Und ich würde meine Schuhsohlen aus Blei vor seiner Praxis abstellen, wie ein vergessenes Hollandrad. Die rosa Paste würde die Traurigkeit nicht auslöschen, es geht nicht darum, sie zu beseitigen, sondern darum, etwas Schönes daraus zu machen, Erinnerungen, über die man lachen kann.
    Ich kann nur mit dir über meinen Herzschmerz reden. Mama will meine Freundin sein und David ist einfach zu schwul. Erinnerst du dich an den ersten Jungen, der mich traurig gemacht hat? Ich war etwa vier. Er mochte Esmeralda lieber. Ich hatte zu ihm gesagt: »Ich liebe dich, Didier, ich möchte deine liebste Freundin sein«, und er hatte mir geantwortet: »Ich mag Esmeralda lieber.« Das scheint die Geschichte meines Lebens zu sein. Dass hinter jeder Tür, die ich schüchtern öffne, sich eine Esmeralda verbirgt, bereit herauszuspringen wie ein Schachtelteufel.
    Ich lief aus dem Kindergarten ins Freie. Ohne zu weinen. Ich hatte abgewartet, bis die anderen Kinder mich nicht mehr sehen konnten. Dann habe ich dir von meinen Liebeswunden erzählt und mir an deinem Hemd den Rotz abgewischt. Du hast mich getröstet, ohne viele Worte, ich vertilgte eine Waffel mit Puderzucker und dann haben wir im Auto gesungen.
    Hier ist es kalt. Man könnte glauben, dass der Frühling gar nicht mehr kommen will. Er wartet vielleicht auf mein Lächeln, und ich, ich warte auf den Frühling.
    Ich habe meine alten Gewohnheiten wieder aufgenommen. Ich mache Fotos, immer und überall. Anbei eine verwackelte Aufnahme. Und doch ist da irgendein Zauber. Dieses Foto, für mich ist es die Kindheit.
    Wie geht es den Schweinen? Wenn du ein Telefon hättest, wäre es ein wenig einfacher, meinst du nicht auch? Wenn du an Schweinegrippe stirbst (ich weiß, hat nichts miteinander zu tun), wer wird mich dann benachrichtigen?
    Ich drücke dich,
    deine Tochter,
    Annabelle

Harry Rosenmerck an Rabbi Moshe Cattan
    Nazareth, 12. April 2009
    Sehr geehrter Rabbi,
    ich kann nicht in Ihre Jeschiwa kommen. Es ist nichts Persönliches, glauben Sie mir, aber ich habe so lange gebraucht, bis ich mir einen Farbfernseher leisten konnte, dass es mir jetzt schwerfällt, das Leben in Schwarzweiß zu sehen.
    Man hat mich in der Schule als dreckigen Juden beschimpft. Da war ich fünf. Ich glaube nicht, dass meine Mutter das vorher mal erwähnt hatte. Ich war ein kleiner Junge, ihr Junge, aber jüdisch, ich hatte keine Ahnung, was das war. Ich bin nicht beschnitten worden, um nicht aufzufallen, wenn ich nackt bin. Man hat mir Deutsch beigebracht, damit ich in der Sprache des Feindes zurechtkomme und darüber hinaus, um die Philosophen im Original lesen zu können. Jude? Gewiss bin ich das. Gezwungen, mich euren uralten Ängsten zu unterwerfen und mit Frauen mit Perücken zu tun haben zu müssen, und mit euren schwarzen Gewändern und den Bärten, die bei dreißig Grad Hitze in diesen ersten Frühlingstagen schweißig glänzen, nein danke.
    Ich danke Ihnen dennoch für Ihren Rat, mich
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