Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzes Fieber

Schwarzes Fieber

Titel: Schwarzes Fieber
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
meinem Rad. Einmal besuchte ich abends Lorenzo, und wir spielten eine Partie Schach auf seiner Terrasse. Lorenzos wirklicher Name war Horst-Heinrich Lorentz. Ich hatte ihn im vergangenen Winter im Zuge der Aufklärung eines verzwickten Falls kennengelernt. Wir hatten uns ein wenig angefreundet und es bisher geschafft, die Verbindung nicht wieder abreißen zu lassen. Er bewohnte ein von außen schönes, innen jedoch altmodisch und für meinen Geschmack ungemütlich eingerichtetes Haus, das er von seinen Eltern geerbt und einfach so gelassen hatte, wie es war. Sein Vater war ein angesehener Professor an der Universität gewesen und hatte es zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Lorenzo hatte zwar Verschiedenes studiert, dann jedoch nach allerhand Kapriolen ausgerechnet im Gastgewerbe seine Berufung gefunden.
    Sein Haus lag unterhalb des Philosophenwegs über dem nördlichen Neckarufer und bot eine so unglaubliche Aussicht auf die Alte Brücke, die Stadt mit ihren Spitzweg-Giebeln und Turmspitzen, das selbst als Ruine noch majestätische Schloss, dass ihm mancher Amerikaner ohne Wimpernzucken Millionen dafür bezahlt hätte. Aber das war Lorenzo gleichgültig. Er gehörte zu den wenigen Glücklichen, die genug Geld hatten.
    Selbstverständlich verlor ich das Schachspiel. Gegen Lorenzo verlor ich immer, aber hier ging es nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um gemeinsames Schweigen und Grübeln, höchstens unterbrochen von einem gelegentlichen Brummen der Enttäuschung oder der Befriedigung, einem verschmitzten Grinsen, wenn einem ein guter Zug gelang. Dazu tranken wir Wein aus seinem Keller, der vermutlich zu den am besten ausgestatteten der ganzen Kurpfalz gehörte.
    »Matt«, seufzte Lorenzo nach kaum zwanzig Minuten mit wohligem Behagen. Er machte sich nie die Mühe, seine Schadenfreude zu verbergen.
    Wir stießen an. Die hohen Gläser klangen, dass ich meinte, man müsse es noch jenseits des Neckars hören. Der Abend war vollkommen windstill, die weiche Luft voller Geräusche, Düfte, Stimmen, Gemurmel und Gezirpe.
    »Appetit?«, fragte Lorenzo, nachdem er sein Schlückchen Wein auf unbeschreiblichen Umwegen durch den Mund befördert hatte.
    »Was glaubst du wohl, wozu ich hier bin?«
    Lorenzo hatte nämlich nicht nur guten Wein im Keller, er konnte auch vorzüglich kochen. Jahrzehntelang hatte er als Empfangschef in großen Hotels mit exzellenten Küchen gearbeitet und dem jeweiligen Chef de Cuisine über die Schulter geguckt. In puncto Kochen war er mein unerreichbares Vorbild. Inzwischen hatte ich es dabei aber immerhin so weit gebracht, dass meine Zwillinge nicht mehr in Panik gerieten, wenn ich ein Sonntagsmenü plante.
    Leise grunzend stemmte er sich aus dem knarrenden Korbsessel, ergriff seinen schwarzen Stock mit Elfenbeingriff und verschwand mit mühsamen kleinen Schritten in der Küche. Obwohl er noch nicht im Rentenalter war, hatte er wegen einer rasch fortschreitenden Arthrose den geliebten Beruf aufgeben müssen, der ihn die meiste Zeit zum Stehen zwang.
    »Wo steckt eigentlich Maria?«, rief ich ihm nach.
    »Sie hat ab September ein Engagement in Hannover«, rief er zurück. »Sie ist schon mal hingefahren, um sich ein Zimmer zu suchen. Wir werden uns leider nicht oft sehen in nächster Zeit.«
    Maria war eine Schönheit italienischer Abstammung mit honigblondem Haar, gut zwanzig Jahre jünger als Lorenzo. Sie spielte Cello auf einem Niveau, von dem Normalsterbliche höchstens hin und wieder träumen. Die beiden schienen trotz des Altersunterschieds das glücklichste Paar zu sein, das ich kannte. Nie würde ich begreifen, was eine junge, attraktive Frau an diesem alten Kerl fand. Aber wer versteht schon die Beziehungen anderer? Wir verstehen ja meist nicht einmal unsere eigenen.
    Ich lehnte mich zurück, faltete die Hände im Nacken und versuchte herauszufinden, welcher Wochentag heute war. Mittwoch? Donnerstag? Ich entschied mich für Mittwoch. Weshalb hatte ich eigentlich nur zwei Wochen Urlaub genommen? Was wollte ich bei diesem göttlichen Sommerwetter in meinem stickigen Büro mit meinen trockenen Akten? Sollte ich verlängern? Ja, wozu überhaupt arbeiten?
    Auf einmal beneidete ich Lorenzo um seine Freiheit. Er war finanziell unabhängig und in jeder Hinsicht Herr seiner selbst. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass auch ich irgendwann in Pension gehen würde, vielleicht wie Lorenzo einen Stock benötigen. Dass Arbeiten, jeder Beruf, alles irgendwann ein Ende hat.
    Meine Eltern fielen mir ein.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher