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Schwarzes Echo

Schwarzes Echo

Titel: Schwarzes Echo
Autoren: Michael Connelly
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mit großen Zähnen ordinär grinste. In der einen Hand hielt die Ratte eine Pistole, in der anderen eine Schnapsflasche mit der Aufschrift XXX. Die blaue Schrift über und unter dem Cartoon war vom Alter und der gespannten Haut verzogen. Sakai versuchte sie zu lesen.
    »Da steht ›Force‹ … nein, ›First Infantry‹. Der Typ war in der Armee. Der untere Teil macht keinen … das ist eine andere Sprache. ›Non … Gratum … Anum … Ro …‹ Das kann ich nicht entziffern.«
    »Rodentum«, sagte Bosch.
    Sakai sah ihn an.
    »Küchenlatein«, erklärte Bosch. »Nicht mehr wert als ein Rattenschiß. Er war eine Tunnelratte. Vietnam.«
    »Wie auch immer«, sagte Sakai. Er warf einen prüfenden Blick auf die Leiche und das Rohr und sagte: »Na, in einem Tunnel ist er dann auch krepiert, nicht? In gewisser Weise.«
    Bosch berührte das Gesicht des toten Mannes und strich ihm das struppige, grauschwarze Haar aus der Stirn und den leeren Augen. Da er es ohne Handschuhe tat, unterbrachen die anderen ihre Arbeit und beobachteten dieses ungewöhnliche, höchst unhygienische Verhalten. Bosch kümmerte sich nicht darum. Lange Zeit starrte er in das Gesicht, sagte nichts, hörte nicht, ob etwas gesagt wurde. In dem Augenblick, als ihm klar wurde, daß er das Gesicht kannte, genau wie er die Tätowierung kannte, blitzte das Bild eines jungen Mannes vor seinem inneren Auge auf. Grobknochig und braungebrannt, das Haar kurzgeschoren. Lebendig, nicht tot. Er stand auf und wandte sich abrupt von dem Toten ab.
    Dabei stieß er mit Jerry Edgar zusammen, der endlich eingetroffen war und sich gerade über die Leiche beugen wollte. Beide traten einen Schritt zurück, einen Moment lang wie benommen. Bosch griff sich an die Stirn. Edgar, der wesentlich kleiner war, befühlte sein Kinn.
    »Scheiße, Harry«, sagte Edgar. »Bist du okay?«
    »Ja. Und du?«
    Edgar sah nach, ob an seiner Hand Blut war.
    »Ja. Tut mir leid. Wieso springst du hier so rum?«
    »Ich weiß nicht.«
    Edgar warf über Harrys Schulter einen Blick auf die Leiche, dann folgte er seinem Partner, fort von der Meute.

    »Tut mir leid, Harry«, sagte Edgar. »Ich mußte eine Stunde warten, bis ich jemanden hatte, der meine Termine übernehmen konnte. Also, sag an, was haben wir hier?«
    Edgar rieb sich beim Sprechen noch immer das Kinn.
    »Weiß nicht genau«, sagte Bosch. »Ich möchte, daß du dich in einen von diesen Wagen mit MCT setzt. Eins, das funktioniert. Sieh nach, ob du irgendwas zu dem Namen Meadows, Billy, findest, oder besser William. Geburtsjahr dürfte 1950 sein. Seine Adresse müßten wir von der Verkehrsbehörde kriegen können.«
    »Ist das der Tote?«
    Bosch nickte.
    »Nichts, keine Adresse auf seinem Ausweis?«
    »Er hatte keinen Ausweis. Ich hab’ ihn erkannt. Also prüf das über Funk nach. Es müßte in den letzten paar Jahren einige Kontakte gegeben haben. Zumindest Drogengeschichten bei der Van Nuys Division.«
    Edgar schlenderte zu der Reihe von parkenden Streifenwagen hinüber, um einen mit mobilem Computerterminal zu finden. Da er ein stattlicher Mann war, wirkte sein Gang schwerfällig, aber Bosch wußte aus Erfahrung, daß es nicht immer leicht war, mit ihm Schritt zu halten. Edgars Kleidung war makellos. Er trug einen maßgeschneiderten, braunen Anzug mit dünnen Nadelstreifen. Sein Haar war kurzgeschnitten und seine Haut beinahe so weich und schwarz wie eine Aubergine. Bosch sah Edgar hinterher und konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß er sein Eintreffen so hingedreht hatte, daß er gerade eben zu spät kam, um sein Ensemble nicht zerknittern zu müssen, indem er in einen Overall stieg und durch das Rohr kroch.
    Bosch trat an den Kofferraum seines Wagens und holte die Polaroidkamera heraus. Dann ging er zu der Leiche zurück, stellte sich breitbeinig darüber und beugte sich vor, um Fotos vom Gesicht zu machen. Drei würden genügen, sagte er sich und legte die Polaroids zum Entwickeln auf das Rohr. Er mußte das Gesicht einfach anstarren, die Veränderungen, die die Zeit mit sich gebracht hatte. Er dachte an das Gesicht und das besoffene Grinsen an jenem Abend, als die Ratten der First Infantry geschlossen aus dem Tätowiersalon in Saigon gekommen waren. Es hatte die abgekämpften Amerikaner vier Stunden gekostet, aber sie waren zu Blutsbrüdern geworden, als sie sich alle dasselbe Brandzeichen verpassen ließen. Bosch erinnerte sich an Meadows’ Begeisterung über ihre Verbundenheit und die Angst, die sie gemeinsam
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