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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen
Autoren: Masuji Ibuse
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lag still und verlassen. An drei Seiten
war er von den Gebäuden des Betriebes eingeschlossen, während die vierte an den
Abhang eines Berges grenzte, auf dem Eichen standen. Ein Wassergraben von etwa
zwei Meter Breite zog sich von den Eichen her in den Hof und verließ ihn durch
die Lücke zwischen dem Bürogebäude und der Maschinenhalle. Das Wasser brachte
eine kühle Brise mit. Die feuchte Erde diesseits des Grabens trug üppig
wachsende Moospolster und Leberblümchen, und auf der anderen Seite wuchsen
Büschel hoher Pflanzen mit kleinen rosa Blüten. Hier und da standen auch hohe
weiße Blumen mit langen gelben Stempeln.
    Ich warf von draußen einen Blick ins Büro, aber
es war niemand da. Ich überlegte, ob ich in die Kantine gehen sollte, ließ es
dann aber doch sein. Ich guckte in den Aufenthaltsraum der Arbeiter: niemand.
Ich steckte die Nase durch die Hintertür der provisorischen Küche neben dem
Büro, sah aber nur einen großen Kessel auf dem Herd, in dem es kochte, daß der
Deckel fröhlich auf und nieder hüpfte. Die Angestellten, die sich ihr
Mittagessen mitbrachten, hatten ihn offensichtlich aufgesetzt und waren dann,
ohne daran zu denken, gegangen, um die Rundfunkmeldung zu hören.
    Die Übertragung hatte begonnen, aber vom Hof aus
konnte ich nur Bruchstücke einer mit leiser Stimme gesprochenen Rede hören. Ich
gab mir keine Mühe, den Sinn zu erfassen, sondern ging am Graben auf und ab und
blieb hin und wieder stehen. Der Graben hatte eine feste Steineinfassung, etwa
zwei Meter tief. Das Bett war. flach und überall mit Steinplatten ausgelegt.
Das Wasser stand niedrig, war aber ganz klar und äußerst erfrischend.
    Warum hatte ich eigentlich nie bemerkt, daß es
hier so ganz in der Nähe einen so reizvollen Bach gab? Im Wasser sah ich einen
Schwarm junger Aale, die munter gegen die Strömung schwammen. Es machte Spaß,
sie zu beobachten: Myriaden winziger Aale, noch im Larvenstadium, keiner mehr
als drei, vier Zoll lang. „Zieht nur immer stromauf!“ redete ich ihnen
aufmunternd zu. „Ich möchte wetten, ihr schnuppert Süßwasser!“ Und immer noch
kamen sie unaufhörlich und bahnten sich ihren Weg gegen die Strömung in
riesigen Schwärmen. Sie mußten den ganzen Weg vom Unterlauf des Flusses bei
Hiroshima heraufgeschwommen sein. Jungaale steigen im allgemeinen Mitte Mai aus
dem Meer in die Flüsse. Auf dem ersten Kilometer nach der Mündung sind sie noch
platt wie Weidenblätter und durchsichtig, und die Fischer in den Buchten um
Hiroshima nennen sie „Sardinenaale“ wegen ihrer Ähnlichkeit mit Sardinenbrut.
Viele, die hier vorbeikamen, sahen schon wie richtige Aale aus, ungefähr so
groß wie Schmerlen, aber schlanker und auch gewandter in ihren Bewegungen. Ich
überlegte, wo sie wohl am 6. August herumgeschwommen waren, als Hiroshima
bombardiert wurde. Ich hockte mich an den Rand des Kanals und verglich ihre
Rücken, aber ich konnte nur verschiedene Grauschattierungen erkennen. Nicht
einer war beschädigt. Ich fragte mich, ob man sie angeln könnte und, wenn ja,
was für Köder man nehmen müßte. Ich stand auf und ging zum Notausgang zurück,
als ein Arbeiter durch die Tür an mir vorbeikam und mich dabei anstieß.
    „Was ist los?“ rief ich. Er drehte sich um,
blickte mich aber an, ohne mich zu sehen, und lief zur Küche hinüber. Alles an
ihm — die Art, wie er die Arbeitsmütze in der Hand zusammenknüllte, wie er
steif und befangen in Laufschritt fiel — sagte mir, daß irgend etwas nicht
stimmte.
    Ich ging den Flur entlang zur Kantine. Ein Strom
von Arbeitern kam an mir vorbei mit finsteren Gesichtern wie nie zuvor. Einige
Männer weinten. Manche Mädchen hatten das Gesicht mit ihren Arbeitsmützen
bedeckt. Eine aus einer Gruppe von Fabrikmädchen, die auf dem Weg zum
Schlafsaal waren, hatte den Arm um ihre Freundin gelegt und redete ihr zu:
„Weine nicht, Liebes. Es gibt nun wenigstens keine Fliegerangriffe mehr.“
    Die Tränen stiegen mir in die Augen. Ich schämte
mich, daß man mich weinen sehen konnte, und blieb an dem steinernen Waschbecken
beim Kantineneingang stehen, um mir die Hände zu waschen. Eine Küchenhilfe im
mittleren Alter, die gerade mit dem Tischdecken fertig
war, kam auf mich zu. „Ach, Herr Shizuma“, begann sie und verbeugte sich wie
bei einer Beileidsbezeigung, „ich weiß wirklich nicht, was man in solch einer
Situation sagen soll. Sie wissen, ich bin nicht viel — nur eine arme alte Frau — , aber ich bin so niedergeschlagen und auch so
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