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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen
Autoren: Masuji Ibuse
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lösten
sich die Schuppen und die Rückenflossen fielen aus. Die meisten Karpfen im See
bei Asano waren direkt während des Angriffs getötet worden, aber jetzt verloren
viele von denen, die überlebt hatten, die Schuppen und schwammen wie betrunken
umher. Er hatte auch gehört, daß Leute, die durch die Ruinen gegangen waren,
ohne selbst bei dem Bombenabwurf dabeigewesen zu sein, jetzt Flecken auf der
Haut bekamen oder ihnen die Haare ausgingen oder sie merkten, daß ihre Zähne
locker wurden.
    Was mich betraf, so wußte man nicht, was die
Zukunft bringen würde, aber vorläufig konnte ich noch an meinen Haaren ziehen,
ohne daß sie ausgingen, und ich hatte auch keine Flecken auf der Haut. Mit
meinen Zähnen war alles in Ordnung. (Zwei Jahre nach dem Angriff allerdings,
als ich mich langsam sicher glaubte, fingen zwei Zähne an zu wackeln, und ich
stellte fest, daß ich sie ohne Mühe ausziehen konnte. Dann wackelten vier
weitere, und ich zog sie mir ohne die geringsten Schmerzen heraus, ich brauchte
sie nur zwischen Daumen und Zeigefinger zu fassen und etwas zu ziehen. Heute
habe ich im Oberkiefer eine vollständige Prothese. Wenn ich mich bei
körperlicher Arbeit überanstrenge, bilden sich bohnengroße Pusteln auf dem
Kopf. Shokichi, der mit uns die Karpfenzucht angefangen hat, sind alle Zähne
ausgefallen, auch völlig ohne Schmerzen, innerhalb von zwei Monaten, im Jahr
nach dem Bombenabwurf; und jetzt hat er oben und unten ein Gebiß. Shokichis
Oberkiefer ist so flach, daß er fast in einer Ebene mit dem Gaumen steht, und
der Zahnarzt hat ihm die Platte der Prothese so stark gewölbt, wie es technisch
möglich war, um das Aussehen der Oberlippe zu verbessern. Und trotzdem sah die
Oberlippe so aus, als ob sie nach innen in den Mund hing; deshalb ließ er sich
einen Schnurrbart wachsen, den er auch heute noch trägt. Es ist ein schöner,
buschiger, männlicher Schnurrbart. Manchmal denken die Dorfbewohner nicht
daran, die den Grund dafür genau kennen, und sagen, Shokichi hat einen
Schnurrbart wie einer, der sich etwas Besseres dünkt. Was Shokichi betrifft, so
hat das mit gesellschaftlicher Eitelkeit überhaupt nichts zu tun. Er ist ein
äußerst bescheidener und ehrlicher Mann, das möchte ich hier einmal gesagt
haben.)
    Als der Alte gegangen war, begab ich mich zur
Firma hinüber, frühstückte mit den anderen in der Kantine und begann dann, die
verlangten Papiere zusammenzustellen — die Unterlagen, die auf Anordnung des
Geschäftsführers dem Stationsvorsteher von Koi übergeben werden sollten. Das
machte viel Arbeit, zumal ich außer der Aufstellung, wieviel Kohle die Firma
pro Woche brauchte und wieviel Kleidung hergestellt wurde, auch einen
ausführlichen Bericht über unsere jüngsten Verhandlungen mit dem Heeresamt in
Hiroshima geben mußte sowie eine Erklärung der Tatsache, daß das
Kohlenerfassungsamt praktisch nicht mehr existierte. Es genügte nicht, einfach
zu sagen, der für Kohlenzuteilung im Heeresbekleidungsamt zuständige Beamte
lehnte die Verantwortung ab. Wenn ich andrerseits zugab, daß er mit uns
zusammengearbeitet hatte, würde unser Antrag jegliche Wirkung verlieren. Es
kostete mich viel Schweiß, die nötigen Umschreibungen und Ausflüchte zu Papier
zu bringen. Ich hielt es für angebracht, den Text mit ein paar blumigen
Wendungen aufzulockern: „In so einem ernsten Notfall“ — hieß eine meiner
gelungeneren Formulierungen — „kommt ein Stück Kohle einem Tropfen Blut
gleich.“ Angesichts der Tatsache, daß das Erfassungsamt mit allem Personal
verschwunden, das Erfassungssystem aber noch in Kraft war, schien diese Art zu
schreiben vermutlich die einzig mögliche Taktik zu sein, die Hoffnung auf
Erfolg zuließ.
    Ich hatte die Papiere fertiggestellt und las
gerade noch einmal alles durch, als der Maschinenlärm in der Fabrik plötzlich
aufhörte. Es war fünf Minuten vor zwölf, der Zeitpunkt für die wichtige
Rundfunkmeldung. Ich legte die Unterlagen in eine Schublade und ging auf den
Flur hinaus. Ich lief die Treppe hinunter, trat dann aber, einer plötzlichen
Eingebung folgend, zum Notausgang hinaus auf den hinteren Hof. Das Radio der
Firma stand in der Kantine, aber ich schreckte vor den Entscheidungen zurück,
die die Meldung zur Folge haben würde. Meist blickt man gebannt auf Dinge, vor
denen man Angst hat; diesmal unterlag ich nicht diesem Zwang. Alle schienen die
Flure entlang zur Kantine zu gehen, und das dumpfe Geräusch ihrer Schritte
drang zu mir heraus.
    Der Hof
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