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Schwarzer, Alice

Schwarzer, Alice

Titel: Schwarzer, Alice
Autoren: Die grosse Verschleierung
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all diesen Einschränkungen kann
davon ausgegangen werden, dass die Erhebungen des Religionswissenschaftlichen
Medien- und Informationsdienstes REMID von 2008, abgeglichen mit denen des
Islam-Archivs Deutschland aus dem Jahre 2005, eine zahlenmäßig solide Grundlage
bieten. Danach lag die Gesamtzahl der in Deutschland lebenden Muslime im Jahr
2009 bei etwa vier Millionen und damit bei rund fünf Prozent der Gesamtbevölkerung.
Etwa eine Million hat heute einen deutschen Pass. Die Zahl der Einbürgerungen
von Musliminnen liegt derzeit bei 50.000 im Jahresdurchschnitt. Etwa 15.000
der hier lebenden Muslime sind gebürtige Nichtmuslime, also Konvertiten. Der
jährliche Zuwachs bei der letztgenannten Gruppe liegt nach allen halbwegs
seriösen Schätzungen zwischen 200 und 300. Vielen genügt das nicht, und so
geistert seit 2006 eine ganz andere Zahl durch die Öffentlichkeit: Das
Islam-Archiv kündigte eine bis heute nicht offiziell veröffentlichte Studie an,
nach der binnen eines Jahres 5.000 Deutsche zum Islam konvertierten. Obwohl
bereits wenig später öffentlich darauf hingewiesen wurde, dass diese
Zahlenangabe jeder seriösen Grundlage entbehrt, wird sie wieder und wieder
kolportiert.
    In diesem Zusammenhang wird häufig auch auf die vermeintlich
großen Erfolge von Wanderpredigern wie Pierre Vogel hingewiesen, die bei
Vortragsveranstaltungen auf der Stelle jeweils mehrere Personen für den Islam
gewinnen und deren Konversion dann propagandistisch ausschlachten und ins
weltweite Netz stellen. Diese auch unter Muslimen umstrittene Form der Werbung
für den Islam lässt allerdings völlig offen, inwieweit die >Konversionen<
im Einzelfall authentisch oder gestellt sind und ob sie über den Augenblick
hinaus irgendeine Relevanz für die Betroffenen haben.
    Die Motive der Konvertitinnen - etwa zwei Drittel von
ihnen sind Frauen - sind sehr unterschiedlich. Die Partnerschaft mit einem
Muslim/einer Muslimin ist häufig der Auslöser, sich mit dem Islam zu befassen.
Die einen konvertieren dann aus Überzeugung, die anderen aus Opportunismus
oder weil es ihnen praktischer erscheint, in der Familie nur eine Religion zu
haben. Männern, die eine Muslimin heiraten wollen, bleibt keine andere Wahl
als die Annahme des Islam, wenn ihre Ehe auch in der islamischen Welt
Gültigkeit haben soll. Alles andere ist auch für wenig religiöse muslimische
Familien kaum denkbar. Auf diesem Wege kommen zahlreiche Konversionen zustande,
denen keine religiöse Überzeugung zugrunde liegt. Und viele konvertierte Frauen
greifen zunächst zum Kopftuch, legen es aber im Falle eines Scheiterns der Ehe
schnell wieder ab.
    Natürlich gibt es auch Konvertiten, die sich unabhängig
von persönlichen Bindungen mit religiöser islamischer Literatur beschäftigen,
den Koran lesen, in Kontakt zu Sufis oder muslimischen Freunden kommen, die
islamische Welt bereisen und auf diesen und anderen Wegen zu der Entscheidung
gelangen, den Islam als ihren eigenen Glauben annehmen und leben zu wollen.
Die Praxis sieht dabei ebenso unterschiedlich aus wie die Motive. Sie reicht
von strenger religiöser Observanz bis zu einer oftmals recht eigenwilligen Form
der Religionsausübung. In der öffentlichen Wahrnehmung begegnen uns
Konvertitinnen häufig als »150-Prozentige«, die keine noch so kleine
Regelverletzung durchgehen lassen und das Wesen des neuen Glaubens in der
Vielzahl seiner Gebote für Ritus und Alltag sehen.
    Diese Eigenschaft des Islam scheinen viele Konvertitinnen
als besonders faszinierend und hilfreich für ihre Lebensbewältigung zu
empfinden. Hinzu kommt, dass man das Gefühl hat, etwas aufholen und viele Jahre
unislamischen Lebens wiedergutmachen zu wollen. Auch ist man bemüht, den
gebürtigen Musliminnen keinen Zweifel an der Aufrichtigkeit der Konversion zu
lassen. Denn tatsächlich werden die Neomuslime zwar gerne vorgeführt, innerhalb
der muslimischen Gemeinschaft begegnet man ihnen aber durchaus auch mit
Misstrauen, das es also zu zerstreuen gilt.
    Für das zahlenmäßige Anwachsen des Islam ist die Konversion
von untergeordneter Bedeutung, zumal rein mathematisch betrachtet hiervon die
umgekehrten Konversionen in Abzug zu bringen sind. Auch hierfür gibt es keine
Zahlen, die über jeden Zweifel erhaben wären. Zu der allgemeinen Problematik
der statistischen Erfassung von Religionszugehörigkeit und Religionswechsel
kommt hier noch die große Angst vieler getaufter Ex-Musliminnen vor der
Öffentlichkeit. Der Druck, dem die meisten von
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