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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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den Opel mit einer Plane bedeckt hatte. Das machte er sonst nie. Er kann den Anblick wohl nicht ertragen, dachte sie. Wie kindisch. Sie schaltete das Licht ein. Hob die Plane hoch. Auf der rechten Seite fand sie das Gesuchte. Eine Beule, einen zerbrochenen Scheinwerfer und allerlei Kratzer im Lack. Der Lack war in langen, grauweißen Rissen abgesplittert. Sie schüttelte den Kopf und ließ die Plane wieder sinken. Ging hinaus auf den Hof. Blieb dort stehen und dachte nach. Spürte im Nacken den heftigen, kalten Regen. Rasch schaute sie zum Schlafzimmerfenster ihres Sohnes hoch. Dort sah sie sein bleiches, vom Vorhang halb verdecktes Gesicht.
    *

2 . S EPTEMBER .
    Helga fuhr aus dem Schlaf hoch. Sie setzte sich im Bett auf. Für eine kurze Sekunde war alles wie vorher. Sie war Helga, die zu einem neuen Tag erwachte.
    Dann fiel ihr alles wieder ein. Die Wirklichkeit ließ sie auf die Matratze zurücksinken. Zugleich hörte sie eine Wagentür schlagen, Stimmen murmelten leise. Jemand kam auf das Haus zu. Sie lag wie auf Nadeln und horchte. Sie waren ganz leise, das hörte sie. Keine eiligen Schritte, keine eifrigen Stimmen. Sie blieb zusammengerollt im Bett liegen. Hier wollte sie bleiben, bis Ida nach Hause kam. Sie wollte sich nicht bewegen, nichts essen, nichts trinken. Wenn sie lange genug liegenbliebe, würde das Wunder geschehen. Und wenn nicht, würde sie sich durch die Matratze sinken lassen. In der Polsterung verschwinden. Andere könnten sich auf sie legen und schlafen, sie könnten im Zimmer kommen und gehen, sie würde sie nicht bemerken. Sie würde nichts mehr spüren, nie mehr.
    Dann hörte sie Anders’ Stimme. Füße, die über den Boden schlurften. Die Tür, die so behutsam geschlossen wurde. Wenn das Schlimmste geschehen war, würde gleich Anders in der Tür stehen und sie ansehen. Er würde kein Wort sagen, sondern sie nur mit einem stummen Schrei anstarren. Die Augen, diese großen, braunen, die Ida geerbt hatte, würden sich verdunkeln. Sie selbst würde aufspringen und schreien. So sehr, daß die Fensterscheiben barsten, damit alle es hörten, damit die Welt in ihrer ewigen Rotation innehielt. Alle Menschen auf den Straßen würden lauschen und sich wundern. Sie würden dieses Zittern in den Füßen spüren, würden merken, daß alles zu Ende war. Aber die Sekunden vergingen, und Anders ließ sich nicht blicken. Noch immer war aus dem Wohnzimmer dieses Gemurmel zu hören. Also haben sie sie nicht gefunden, weder tot noch lebendig, dachte Helga. Ihre Hoffnung war so vage. Ihre Finger kratzten über die Decke, um die Hoffnung einzufangen und festzuhalten.
    Anders Joner führte Sejer und Skarre ins Wohnzimmer. »Helga schläft«, sagte er. Er suchte in seiner Hemdentasche nach seiner Brille. Die Gläser waren nicht ganz sauber. Seine Kleidung zeigte, daß er auf dem Sofa geschlafen hatte. Falls er geschlafen hatte.
    »Was machen wir jetzt?« fragte er nervös. »Sie haben auch das Rad nicht gefunden?«
    »Nein«, sagte Sejer.
    Jacob Skarre lauschte aufmerksam. Seine blauen Augen konzentrierten sich zutiefst. Während Sejer redete, ließ er Joner nicht aus den Augen. Ab und zu machte er sich rasch eine Notiz.
    »Was bedeutet das?«
    »Das wissen wir nicht«, sagte Sejer.
    Anders Joner rieb sich den Schädel. Der war fast kahl. Er hatte große Augen, wie Ida, und einen winzigen Mund. Er schien jünger zu sein als Helga und war klein und schmächtig und fast schon feminin.
    »Aber was glauben Sie denn?«
    Sejer ließ sich Zeit mit der Antwort.
    »Wir glauben gar nichts«, sagte er dann einfach. »Wir suchen.«
    Sie starrten einander noch immer an. Sejer sollte Idas Vater gegenüber den Ernst der Lage bestätigen. Das brauchte der Mann, deshalb setzte er Sejer so zu.
    »Ich mache mir Sorgen«, sagte der. »Das kann ich Ihnen nicht verschweigen.«
    Seine Stimme klang felsenfest. Seine eigene Ruhe konnte ihn manchmal in Verzweiflung stürzen, aber jetzt mußte sie sein. Er mußte Anders Joner damit stützen.
    Idas Vater nickte. Er hatte das bekommen, worum er gebeten hatte.
    »Aber was passiert jetzt?« fragte er dann, mit einer plötzlichen Erschöpfung in der Stimme. »Was tun Sie, um sie zu finden?«
    »Wir haben uns einen Überblick über die Strecke verschafft, die Ida fahren mußte«, sagte Sejer. »Und wir müssen alle Personen finden, die sich zu dieser Zeit in der Gegend aufgehalten haben. Wir bitten sie, uns anzurufen, und das tun sie. Wir sprechen mit allen, die etwas Interessantes gesehen haben,
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