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Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Titel: Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
Autoren: Nora Luttmer
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einen.«
    Ly suchte nach einer Spur von Wahnsinn in Xuans Augen. Aber er sah nur eiskalte Berechnung. Er konnte nicht glauben, dass dies der Mann war, mit dem er zusammengearbeitet hatte.
    »Du hast versucht, Hai Au die Morde in die Schuhe zu schieben. Er wird dich umbringen«, sagte Ly und wünschte sich in diesem Moment genau das.
    »Soll er’s doch versuchen.«
    »Wieso mussten die Mädchen sterben, sag es mir!«
    »Hoa würde noch leben, wenn du nicht so penetrant gewesen wärst. Und Sinh, sie sollte für mich arbeiten. Nicht mehr nur meine Hure sein. Aber sie hat mich verarscht. Hat die anderen Sampanschiffer gegen mich aufgehetzt. Ihre Schwester vor mir versteckt.«
    »Und da hast du sie abgeschlachtet?«
    Xuan verzog den Mund zu einem Grinsen. »Hat sich so ergeben.«
    Der Abscheu, den Ly verspürte, schürte seine Wut und ließ ihn seine Angst vergessen. Er biss die Zähne zusammen und stemmte sich hoch. Xuan trat erneut zu.
    »Was ist mit Thanh?« Ly krächzte. Seine Stimme würde ihn bald verlassen.
    »Thanh, Thanh.« Xuan äffte Lys versagende Stimme nach. Ly registrierte die Veränderung in seinem Blick. Xuan starrte ihn jetzt mit feurigen, fast fiebrigen Augen an. Erbrüllte: »Ich habe sie gefickt. Ich hab ihr vertraut. Sie war meine rechte Hand. Sie hat den jungen Dingern erklärt, wie sie die Kunden zu bedienen haben. Und dich sollte sie um den Finger wickeln und ablenken. Aber sie hat sich in dich verguckt, die Schlampe. Soll sie doch im Knast verrecken.«
    Xuan versetzte Ly einen weiteren Tritt, diesmal mit voller Wucht in die Rippen. Der Druck auf Lys Brust nahm zu. Der nächste Tritt landete im Bauch. Instinktiv rollte er sich zusammen. Wie von Sinnen trat Xuan jetzt auf Ly ein. Sein Gesicht war fast zur Unkenntlichkeit verzerrt. Er würde nicht aufhören. Ly spürte den Schmerz kaum noch. Langsam driftete er weg. Er kämpfte dagegen an, doch alles entglitt ihm.
    *
    Der Zeremonienmeister hatte die günstigste Stunde für die Totenzeremonie bestimmt. Nun stand er vor dem mit Rosen, Lilien und Lotusblumen geschmückten Altar, der extra für diesen Tag im Hauptraum des Tay-Ho-Tempels aufgestellt worden war.
    Er trug eine weite gelbe Tunika, die ihm bis über die Füße fiel, und einen hohen, roten, mit Lotusblumen bestickten Hut. Seine Hände mit den glimmenden Räucherstäbchen hielt er über dem Kopf, während er im Rhythmus immer ein paar Schritte vor und wieder zurück ging und schließlich begann, die Arme in Kreisen vor seinem Körper zu drehen. Dabei stieß er hohe heisere Schreie aus. Der alte Herr Vu, der diesmal keinen Schlafanzug, sondern einen lilafarbenen ao dai trug, schlug dazu denGong. Schnell und immer schneller, als wolle er alle Geister auf einmal aus seinem Kopf verjagen. Auf dem Boden stand ein Mikrophon, was dem Ganzen zusätzlich einen scheppernden Klang verlieh.
    Lys Kollegen saßen im Schneidersitz auf den Matten dicht hinter dem Zeremonienmeister. Parteikommissar Hung wiegte den Oberkörper vor und zurück, die Augen fest zugedrückt. Dang und Dr. Quang schienen in ihren Gedanken versunken, ihre Blicke abwesend. Ngoc schaute starr auf den Rücken des Zeremonienmeisters. Lan saß da mit Tränen in den Augen.
    Abrupt brach der Zeremonienmeister seinen Tanz ab und steckte die Räucherstäbchen in eine mit Sand gefüllte Schale, um die sich ein blauer Drache schlängelte. Herr Vu hielt inne, die Hand auf dem Gong, damit er Ruhe gab. Der Zeremonienmeister kniete sich hin und warf seinen Oberkörper mehrmals zu Boden. Dabei rief er mit einer schrillen, fast weiblichen Stimme: »Wir bringen dir Reisbrei dar und Früchte. Hab keine Angst. Komm und nimm unsere Gaben an. Wir beten für dich, wir beten.«
    Lan erhob sich. Mit gebeugtem Rücken und gesenktem Blick ging sie nach vorn. Sie trug ein silbernes Aluminiumtablett mit den Gaben, die sie eigens zusammengestellt hatte. Eine Schale Reisbrei, eine Flasche Reisschnaps, Rambutans, eine Kokosnuss, einen Zuckerkegel, zu Bötchen gefaltete Geldscheine.
    Der Zeremonienmeister setzte zu einem eintönigen Gesang an, begleitet von dem hohen Ton einer Mondlaute, die Herr Vu jetzt spielte. Die Mönche der Pagode der steinernen Frau, die etwas seitlich Platz genommen hatten, murmelten ihre eigenen Gebete vor sich hin. Einervon ihnen stand auf, griff nach dem Boot aus buntem Papier, das zwischen all den anderen Votivobjekten – Motorroller, Ventilator, Fernseher, einem Haus – an der Wand lehnte, und trat nach draußen vor die weit
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